Aus eigener Kraft

Wege der Selbsthilfe bei Depressionen und Ängsten

von: Berliner Behindertenzeitung

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Der „Offene Treff“ der KIS in Pankow hat eine lesenswerte Broschüre zum Thema Selbsthilfe bei Depressionen und Ängsten herausgebracht und präsentierte sie im Rahmen einer Lesung mit musikalischer Begleitung in Moabit.

Der Feierabendverkehr dröhnt auf der Perleberger Straße, als die Kirchenglockengegenüber der Kontaktstelle „StadtRand“ sechs Uhr und damit den Beginn der Veranstaltung einläuten.

Etwa fünfzehn Gäste kann Birgit Sowade – die Leiterin der Kontaktstelle – begrüßen. Sie sind gekommen, um sich eine Lesung zum Thema Depressionen anzuhören – genauer: zum Thema Selbsthilfe bei Depressionen. Und das macht den Abend auch so besonders.

Es ist viel geschrieben worden über Depressionen. Medizinisch, psychologisch, populärwissenschaftlich und literarisch – also es besteht kein Mangel an Material, um sich ein Bild von dieser schweren Erkrankung zu machen.

Aber an diesem Abend geht es um den Umgang mit ihr und um die konkreten Wege, die persönlich Betroffene gehen, um ein Leben mit der Erkrankung und auch aus ihr heraus zu finden.

Zum Auftaktliest Nicole Witte ihr poetisches Gedicht „Der Zauber des Anfangs“, an das sich ein Gitarrenintermezzo von Daniel von Rüden anschließt. Und mit den ersten Worten und Klängen verblasst das Verkehrsgetöse vor den Fenstern und es geschieht das, was eine gute Lesung ausmacht: Das Draußen bleibt vor der Tür.

Mit Nicole Witte und Martin Schultz lesen zwei der Autorender Broschüre aus ihren persönlichen Erfahrungen. In Vertretung einer weiteren Autorin liest Katharina Schneider, eine der hauptamtlichen Sozialarbeiterinnen der Kontaktstelle Pankow, dem Ort, den man getrost den „Heimathafen“ der Gruppe nennen kann, die die Broschüre erarbeitet hat.

Und es macht Freude den drei Lesenden in ihrer Unterschiedlichkeit zuzuhören. Trotz des eigentlich schweren Themas überwiegt eine positive Stimmung, denn letztlich versammeln die Beiträge der Broschüre ja Wege mit und auch aus der Depression heraus.Und die Wege sind so unterschiedlich wie die Menschen, die sie beschreiben.

Für Martin Schultz ist es der Sport, der ihn „gerettet“ hat. Der schon in seiner Jugend eine Möglichkeit war, sich wenigstens kurzzeitig dazugehörig zu fühlen, auch wenn schon in der Umkleidekabine die Einsamkeit wiederkehrte. Bis heute ist der Sport sein wichtigstes „Medikament“ nahezu ohne Nebenwirkungen, wie er gerne betont. Für Nicole Witte war und ist es ein Weg mit Achtsamkeit und Entspannungsübungen, die ihr zwar schwer fallen, aber die sie beibehält, um Aufregung und Ängste abzuschwächen. Die wesentlichste Verbesserung erzielte sie danndurch Aufnahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit. Seit 2015 pflegt sie den Garten des Kinderhospizes Sonnenhof und ist Teil des Teams geworden. Die Anerkennung und Bestätigung, die sie dort erfährt, ist mehr wert als irgendeine finanzielle Entlohnung. Unbezahlbar ist das wiedergewonnene Selbstwertgefühl, das Empfinden, etwas Wertvolles zu tun, etwas, das sie nicht überfordert und Sinn macht.

Während der Lesung erschließt sich nach und nach ein komplexes Bild der Erkrankung. Und von einem Leben, das oftmals herausgelöst ist aus dem Alltag der Gesunden. In dem Alltägliches wie aus dem Haus gehen, kommunizieren, ordnen, planen und funktionieren zur Schwerstaufgabe wird. Und wie hilfreich und unterstützend der Austausch in der Selbsthilfegruppe ist, in der man nichts erklären und sich nicht rechtfertigen muss, sondern so, wie man gerade ist, angenommen wird und sich aufgehoben fühlen kann.

Es ist ein berührender und poetischer Abend in Moabit geworden und die eineinhalb Stunden waren wie im Flug vorbei. Er sei einfach erstaunt, dass ein Abend über ein so schweres Thema soviel Freude gemacht hat, sagt der eingeladene Herr Fronhöfer von der AOK, die den Druck der Broschüre gesponsert hat und dem Nicole Witte nach der Lesung zum Dank Blumen überreicht.

Am Schluss ergreift Gastgeberin Birgit Sowade noch einmal das Wort und entlässt Gäste und Vortragende zu einem Umtrunk in das Café der Kontaktstelle und der Abend klingt mit guten Gesprächen aus.

Für 2017 sind weitere Lesungen geplant, auf die man sich freuen kann, denn bei all der Düsternis, die eine psychische Erkrankung wie Depressionen oder Ängste ausmachen, sind die persönlichen Erfahrungsberichte ein Lichtblick und können anderen Betroffenen Mut, Zuversicht und konkrete Hilfen an die Hand geben.

INFO: Neben den Erfahrungsberichten der Betroffenen findet man in der Broschüre auch ein gut strukturiertes Verzeichnis wichtiger Telefonnummern, Adressen und Beratungstellen. Das Heft liegt in einigen Selbsthilfe-Kontaktstellen aus und ist auch über die Kontaktstelle KIS in Pankow zu beziehen. Anfragen unter kis@hvd-bb.de