„Berichterstattung, bei der die Persönlichkeit und nicht die Behinderung im Fokus steht“

Fünf Fragen an Lilian Masuhr, Projektleiterin von Leidmedien.de

von: Berliner Behindertenzeitung

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Foto: Melanie Wehnert, Sozialhelden e.V.

Lilian Masuhr ist bei der NGO Sozialhelden Projektleiterin von Leidmedien.de für eine inklusive Kommunikation mit und über behinderte Menschen. Sie gibt Medientraining-Workshops für Redaktionen und berät Unternehmen zu inklusiver Veranstaltungsplanung. Lilian studierte Kulturwissenschaften und Französische Philologie an der Universität Potsdam (B.A.). Sie war als Reporterin und Moderatorin tätig und moderiert heute Podiumsdiskussionen über digitale Kultur und sozialen Journalismus.

 

Frau Masuhr, was genau ist Leidmedien.de?

Lilian Masuhr: Leidmedien.de ist ein Projekt des Vereins Sozialhelden aus Berlin, das Medienschaffende für die Berichterstattung über Menschen mit Behinderung sensibilisieren möchte. Es geht uns dabei um sprachliche Begriffe und die bildliche Darstellung auf Augenhöhe, also im Sinne des oder der Interviewten, bei der die Persönlichkeit und nicht die Behinderung im Fokus steht. Auf unserem Blog Leidmedien.de geben Autorinnen und Autoren mit und ohne Behinderung Tipps, wie dies besser gelingt, und über die Social Media-Kanäle Facebook und Twitter werden aktuelle Beiträge aus TV, Hörfunk und Print zur Diskussion gestellt. Außerdem beraten wir in Workshops für Redaktionen zum Thema Sprache und Bilder über Menschen mit Behinderung sowie Barrierefreiheit und Kommunikation im Redaktionsalltag mit Kolleginnen und Kollegen mit Behinderung. Demnächst werden wir auch eine Bilddatenbank für redaktionelle Zwecke anbieten.

Welche Formulierungen in Medien ärgern Sie?

Lilian Masuhr: Es kommt immer auf die gesamte Tonalität eines Beitrags an, aber generell kann man sagen, dass eine übertriebene Darstellung als „Opfer“ eines schweren Schicksals oder „Helden“, die dieses Schicksal überwunden haben, oft mehr die Sicht des Journalisten wiedergibt als der Interviewten. Dies zeigt sich an Formulierungen wie „tapfer meistert sie ihr Schicksal“ oder „trotz Behinderung ist er erfolgreich“. Klar, wenn jemand von sich erzählt, dass er oder sie mit der Behinderung kämpft, kann das auch so wiedergegeben werden – aber vielleicht ist die Beeinträchtigung auch nur ein Teil im Leben und sollte nicht alles verdecken. Was wir auch beobachten ist, dass Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen (früher „geistig behindert”) häufig nur mit ihrem Vornamen genannt und in Beschreibungen wie Kinder dargestellt werden, auch wenn sie erwachsen sind.

Wie berichtet man über Menschen mit Behinderung diskriminierungsarm?

Lilian Masuhr: Es klingt vielleicht zu einfach, aber wir sollten Menschen mit Behinderungen interviewen wie jede Politikerin, jeden Sportler oder anderen Protagonisten. Ist es etwa eine Person, die ein interessantes Projekt verwirklicht hat, sollte diese Arbeit im Vordergrund stehen, und nicht die Behinderung oder chronische Erkrankung der Person. Auch ist es sinnvoll, Beiträge mit Untertiteln und am besten auch Gebärdensprache und Audiodeskription zu versehen – denn wenn beispielswwise über gehörlose oder blinde Menschen berichtet wird, dann sollten sie auch die Medienbeiträge verstehen können. Aber eigentlich sollte das zum Standard für alle Medienproduktionen werden, denn behinderte Menschen interessieren sich ja wie andere Menschen auch für alle möglichen Themen. Die UN-Behindertenrechtskonvention sieht neben der diskriminierungsfreien Darstellung in den Medien auch die Zugänglichkeit über Barrierefreiheit als Menschenrecht.

Ihr Angebot richtet sich besonders an Journalistinnen und Journalisten. Welche Medien sind aus Ihrer Sicht besonders gut aufgestellt und vermeiden Klischees? Welche Medien müssten unbedingt Ihre Seminare besuchen?

Lilian Masuhr: Gelungene Beispiele von Beiträgen über behinderte Menschen finden sich in allen Medien, doch könnten tatsächlich Boulevard-Medien teilweise Voyeurismus weniger bedienen, beispielsweise durch mehr positive statt mitleiderregender Musik unter Beiträgen, oder dem Fokus mehr auf die Erfolge als die Niederlagen. In letzter Zeit fanden wir positive Beispiele im Printbereich mit dem Mediendossier „Wer darf leben?” bei Zeit online über Pränataldiagnostik bei Trisomie 21, das es auch in Leichter Sprache zu lesen gab, und der Reihe „Inklusion” in der taz mit der Berichterstattung aus vielen Perspektiven; im TV-Bereich fiel uns positiv die Sendung „Yoin” auf Sport1 mit einer Moderatorin mit Beeinträchtigung auf und die Dokuserie „Dr. Klein” im ZDF, der mit der Wahl von vielfältigen Schauspielerinnen und Schauspielern ein realistisches Abbild der Gesellschaft gelang.

Wie können wir sensibler im Umgang mit Sprache werden? Welche Brille hilft uns im alltäglichen Umgang mit Texten und Sprache?

Lilian Masuhr: Es hilft sich zu fragen, wie man selber gerne beschrieben und dargestellt werden möchte. Niemand liest über sich gerne in der Zeitung unvorteilhafte Details über Körpermerkmale. Bei Unsicherheiten über Begrifflichkeiten, etwa welche Form des Autismus der- oder diejenige hat, bieten sich direkte Nachfragen an. Letztlich wird es uns allen einfacher fallen, sensibler zu sein, wenn wir behinderte Kolleginnen und Kollegen im Team haben sowie im Alltag mehr Berührungspunkte erleben. Daher meine Ermutigung: Stellen Sie Menschen mit Behinderungen ein, begegnen Sie Menschen mit Behinderungen in ihrer Freizeit, und Sie werden ihr Leben um eine neue Perspektive bereichern.

Mehr unter leidmedien.de und sozialhelden.de.

 

Der Artikel ist erschienen auf www.paritaet-berlin.de.