Berliner wählen, leider nicht alle

85.000 Menschen sind in Deutschland vom Wahlrecht ausgeschlossen

von: André Nowak

Am 8. September, 11 Uhr, wird das Berliner Abgeordnetenhaus voraussichtlich das letzte Mal vor der Wahl im Plenarsaal zusammenkommen. Einiges wird neben dem für solche Sitzung üblichem Wahlkampf noch abschließend beraten werden können, zum Beispiel der am 16. August vom Senat beschlossene Bericht über barrierefreie Wege ins ehrenamtliche Engagement. Anderes bleibt in dieser Wahlperiode wohl unerledigt, zum Beispiel der Bericht zur Einführung von barrierefreien Taxen in Berlin, der nun erst Ende Oktober 2016 vom Senat kommen soll.

Öffentliche Toiletten in Berlin

258 öffentliche Toiletten gibt es in Grünanlagen und im öffentlichen Straßenland Berlins laut Antwort des Senats auf eine Anfrage der Abgeordneten Jutta Matuschek (DIE LINKE) vom 27. Juli. Lichten- berg hat mit 9 die wenigsten, Charlottenburg-Wilmersdorf mit 44 die meisten. Alle City- Toiletten sind barrierefrei. Wie viele weitere öffentliche WC es in Berlin gibt, z.B. in Parks, Einkaufszentren, Bahnhöfen, öffentlichen Gebäuden usw., ist dem Senat nicht bekannt. Eine Einschätzung über die Toilettensituation kann der Senat nicht geben, deshalb plant er nun zusammen mit den Bezirken Nutzerzahlen und Bedarfsmeldungen zu analysieren.

Zahlen zum Sonderfahrdienst

Über die „Nutzung und Kos- ten des Sonderfahrdienstes im Jahr 2015“ informierte sich der Abgeordnete Stefan Gelbhaar (GRÜNE) mit einer Anfrage. Laut der Antwort des Senats vom 22. Juli nutzten im vergangenen Jahr mindestens einmal 6.731 Personen den Fahrdienst und 1.524 Personen das Taxikonto.

„Wann erfahren taubblinde Menschen im Land Berlin endlich Anerkennung?“ wollte der Abgeordnete Alexander Spies (PIRATEN) in einer Anfrage wissen. Eine ausführliche Information über den derzeitigen Stand lieferte Staatssekretär Dirk Gerstle (CDU) am 13. Juli für den Senat.

Lotto spielen für gute Zwecke

8.762.485 Euro hat die Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin allein im 2. Quartal 2016 der Stadt zur Verfügung gestellt. Fast 1.600.000 Euro bekam der Sport; rund 3.750.000 sind für Kulturprojekte und 70.000 Euro der Paritätische Wohlfahrtsverband für die Weiterentwicklung des virtuellen Mahnmals www.gedenkort-T4.eu. Projekte von Behindertenverbänden oder Vorhaben, die insbesondere Menschen mit Behinderungen zu Gute kommen, waren nicht dabei.

nahles_andrea

Ministerin Andrea Nahles (SPD).

Wahlrechtsausschlüsse beenden

Nach langer Verzögerung hat das BMAS die Ergebnisse der von ihm in Auftrag gegebenen „Studie zum aktiven und passiven Wahlrecht von Menschen mit Behinderung“ veröffentlicht. Danach wird knapp 85.000 Menschen ihr Recht auf politische Teilhabe verwehrt und sie zeigt deutlich, dass die Voraussetzungen, unter denen Menschen aufgrund ihrer Behinderung das Wahlrecht entzogen wird, nicht haltbar sind. Das ist „nicht mit menschenrechtlichen Standards und den Zielen der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar“, erklärte die Abgeordnete der Grünen, Corinna Rüffer. Sie kritisierte ebenso wie Prof. Dr. Theresia Degener und andere Vertreter von Behindertenorganisationen den Vorschlag der Autoren und von Ministerin Andrea Nahles (SPD), künftig auch die Fähigkeit zu politischen Entscheidungen zu überprüfen oder es den Gerichten zu überlas- sen, ob sie die Anordnung einer Totalbetreuung an die Meldeämter melden, die die Wählerverzeichnisse führen. Die Wahlrechtsausschlüsse müssen ersatzlos abgeschafft werden! Erheblich auch die regionalen Unterschiede: So ist die Wahrscheinlichkeit, vom Wahlrecht ausgeschlossen zu werden, in Bayern 26-mal so hoch wie in Bremen. Der Bericht steht als pdf auf der Internetseite des Bundes- ministeriums zum Download zur Verfügung.

Inklusive Bildung für alle

Am 7. Juli diskutierte der Bundestag zwei Anträge der LINKEN: „Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Schulen fördern“ und „Inklusive Bildung für alle – Ausbau in- klusiver Bildung in der Kinder- tagesbetreuung umsetzen“. Beide Anträge werden nach der Sommerpause in den Fachausschüssen weiter beraten.

Reform des Sexualstrafrechts beschlossen

Am 7. Juli hat der Bundestag die Reform des Sexualstrafrechts beschlossen. Dazu die Bundebehindertenbeauftragte Verena Bentele: „Damit wird ein Paradigmenwechsel vollzogen. Der Missbrauch widerstandsunfähiger Menschen wird künftig nicht mehr niedriger bestraft als der von Perso- nen, die sich wehren können.“ Das Gesetz wirkt sogar strafverschärfend, wenn ein Täter die Situation ausnutzt, dass eine Person krankheits- oder behinderungsbedingt keinen Willen bilden oder äußern kann. Damit wird eine seit langem kritisierte Ungleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen aufgehoben.Im Verlauf ihres Lebens werden gerade viele Frauen mit Behinderun- gen Opfer von Gewalt. Der bessere Schutz von Mädchen und Frauen vor Übergriffen und Missbrauch ist eines der dringenden Themen, die der UN-Fachausschuss Deutschland zur Umsetzung der UN- Behindertenrechtskonvention mit auf den Weg gegeben hat.

Antidiskriminierungsgesetz reformieren

Zehn Jahre nach Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) spricht sich die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders für eine Reform des Gesetzes aus. Sie stützt sich dabei auf Ergebnisse eines unabhängigen Evaluierungsgremiums. Das AGG hat zum Ziel, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Seit 2006 haben sich mehr als 15.000 Menschen an das Beratungsteam der Antidiskriminierungsstelle gewandt.

Bundesfachstelle Barrierefreiheit eröffnet

Am 20. Juli wurde in Berlin die Bundesfachstelle Barrierefreiheitdurch Bundesarbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles eröffnet.Sie soll das Wissen zur Barrierefreiheit bündeln, aufbe- reiten und der Öffentlichkeit zugänglich machen, um so die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Menschen mit Behinderungenzu verbessern. Träger der Bundesfachstelle ist die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (KBS). Mehr Infos gibt es auf www.bundesfachstelle-barrierefreiheit.de.

Linke