Die Gesellschaft muss im Lot sein

Fachtagung „10 Jahre AGG“ im Kleisthaus

von: Siegurd Seifert

AGG KopieVor zehn Jahren trat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft. Damit sollten die Rechte behinderter Menschen, die sich aus der zuvor beschlossenen UN-Behindertenrechtskonvention ergaben, umgesetzt werden. Ob das gelungen ist, damit beschäftigte sich eine Fachtagung am 21. September im Kleisthaus.

Die Veranstalter von Fachtagungen legen gern mal ein sogenanntes Gadget, das heißt, ein kleines Geschenk, in Tagungsmappe. Diesmal war es eine Miniaturwasserwaage. Wasserwaagen benutzt man üblicherweise dafür, Sachen gerade zu rücken, ins Lot zu bringen. Auch eine inklusive Gesellschaft muss im Lot sein, soll sie diesen Namen zu recht vertragen, betonte die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Verena Bentele. Erst, wenn behinderte Menschen ganz normal wie jeder Mensch ins Kino, Theater oder einkaufen gehen könnten, wäre das erreicht. Solange aber nicht alle Anbieter, öffentlich oder privat, zu Barrierefreiheit verpflichtet würden, wäre das noch nicht erreicht. Solange behinderten Menschen der Versicherungsschutz wegen „versicherungstechnischen Kalkulationen“ verweigert wird, kann von inklusiver Gesellschaft keine Rede sein.

Weg vom Pfad des Gewabber

Horst Frehe, selbst jahrelang Richter und Rollstuhlbenutzer, erinnert sich an einen Modellversuch mit Fahrdiensten in den 70er Jahren. Behinderte Menschen nahmen die Chance so schnell an, dass sich die Kosten innerhalb von wenigen Jahren verdreifacht haben. „Wir müssen den Pfad des Gewabbers von Mitleid und Fürsorgedenken verlassen“, ist sein Fazit aus zehn Jahre AGG.

Häufiger Diskriminierungen in der Arbeitswelt

Die meisten Verfahren wegen einer Diskriminierung drehen sich um den Arbeitsmarkt. Besonders häufig werden behinderte Bewerber nicht zu Einstellungsgesprächen eingeladen. Dabei wissen viele Bewerber nicht, dass sie ihre Behinderung gar nicht angeben müssen. Einziger Maßstab ist das Anforderungsprofil. Wenn dort alle Anforderungen erfüllt werden, ist es nicht zwingend, die Behinderung anzugeben.

Dem behinderten Mensch bleibt in solchen Fällen die Möglichkeit, zu klagen. Allerdings kostet das Geld und das Risiko trägt der Behinderte. Ein zugesprochener Schadensersatz deckt leider in keiner Weise das Prozesskostenrisiko, weiß Michael Richter, selbst Betroffener und als Anwalt tätig. Die Beträge bewegen sich bei Menschen mit Behinderung im dreistelligen Bereich.

Das Fazit dieser interessanten Tagung: Unsere Gesellschaft ist lange nicht im Lot. Mit diesen Gesetzen wird sie das auch noch lange bleiben.