Du hast die Qual der Wahl

Die Wahlprogramme aus Sicht der Behindertenbewegung

von: Dominik Peter

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Martin Schulz ist Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat der SPD. Foto: SPD/Susie Knoll.

Am 24. September wird ein neuer Bundestag gewählt. Alle Parteien haben deshalb Wahlprogramme veröffentlicht. Einige sind mehrere hundert Seiten dick. Wir stellen die wichtigsten Fakten aus den Wahlprogrammen auszugsweise dar. Alle Wahlprogramme finden Sie zudem auf unserer Internetseite (www.berliner-behindertenzeitung.de, Rubrik „BW`17“).

AfDAfD – Alternative für Deutschland

Die Partei AfD hat mit 76 Seiten mit das „dünnste“ Wahlprogramm und zum Thema Sozialpolitik kaum Punkte gelistet. Behinderte Menschen kommen kaum vor, allerdings im Punkt 8.3, den wir hier zitieren:

Keine ideologisch motivierte Inklusion: Förder- und Sonderschulen erhalten

Die Forderung der Vereinten Nationen, behinderten Kindern Teilhabe am Bildungssystem zu garantieren, ist in Deutschland bereits erfüllt. Kinder mit besonderem Förderbedarf erhalten in der Förderschule eine umfassende Unterstützung, die die Regelschule nicht leisten kann.

Die AfD setzt sich deshalb für den Erhalt der Förder- und Sonderschulen ein.

B90Bündnis 90/Die Grünen

Für Bündnis 90/Die Grünen wird die UN-BRK immer noch nicht vollständig umgesetzt. Dies soll laut Wahlprogramm endlich geschehen. Zudem soll Jeder die Unterstützung erhalten, die benötigt wird und die Umsetzung des Wunsch- und Wahlrecht bei der Wohnortwahl und die Bedingungen für den Ausbau des selbstbestimmten Wohnens mit Assistenz weiter verbessert werden. Ferner will Bündnis 90/Die Grünen auch mehr barrierefreien Wohnraum schaffen „um den Weg ins Heim zu ersparen“. In den Mittelpunkt stellt die Partei auch das Thema „Behinderung und Arbeit“. Hierfür soll die Ausgleichsabgabe deutlich erhöht werden (unter anderem eine Forderung zahlreicher Behindertenverbände) und es soll der Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt verbessert werden. Wie andere Parteien auch, benennt die Partei aber nicht, wie letzteres genau geschehen soll bzw. macht keine genauere Angaben hierzu.

Weitere Fakten: 

-Verbesserung der Barrierefreiheit und Einführung verbindlicher Vorgaben für die Privatwirtschaft.

-Endlich soll die EU-Gleichbehandlungsrichtlinie umgesetzt werden.

-Integrationsunternehmen sollen ausgebaut werden als echte Alternativen zu den Werkstätten.

-Abschaffung der Einschränkungen beim Wahlrecht.

-Die Selbsthilfe soll gestärkt werden.

Zum Wahlprogramm in Leichter SpracheBUENDNIS_90_DIE_GRUENEN_LeichteSprache

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Dr. Angela Merkel kandidiert erneut für die CDU. Sie ist seit 2005 Bundeskanzlerin. Foto: CDU/Laurence Chaperon

CDU – Christlich Demokratische Union

 

Ähnlich wie die AfD, ist das CDU-Wahlprogramm mit 76 Seiten eines der dünneren Wahlprogramme. Mehr als dünn sind jedoch die Aussagen im Bereich Behindertenpolitik: Wenige Textpassage stehen hierzu im CDU-Wahlprogramm, was die Partei hochtrapend sogar als Regierungsprogramm 2017 – 2021“ betitelt. Eine Textstelle wollen wir jedoch zitieren: „Eine Behinderung darf kein Armutsrisiko für den Betroffenen oder sein Umfeld darstellen. Mit dem Bundesteilhabegesetz haben wir grundlegende Verbesserungen erreicht. Durch Arbeit zum eigenen Lebensunterhalt beitragen zu können, hat für Menschen mit Behinderung eine besondere Bedeutung. Es braucht mehr Offenheit bei der Einstellung von Mitarbeitern mit Behinderung“.

Zum Wahlprogramm in Leichter Sprache: CDU-CSU_Wahlprogramm_Leichte Sprache-btw-2017-4

LinksDie Linke

Die Partei Die Linke will laut Wahlprogramm (rund 130 Seiten stark) eine „Inklusive Schule“ uneingeschränkt umsetzen. Ferner: „Seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention steht das Thema Inklusion in Hinblick auf Menschen mit Behinderungen stärker im Fokus. Die Linke tritt für eine volle und wirksame Teilhabe aller Menschen mit Behinderungen ein. Wir wollen Barrieren abbauen – bauliche, kommunikative und strukturelle – und Menschen mit Behinderungen eine unabhängige Lebensführung erleichtern“.

Zudem: „Menschen mit Behinderung sollen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben. Sie sollen nicht verpflichtet sein, in besonderen Wohnformen zu leben (UN-BRK, Artikel19)“.

Schlussendlich will die Partei „jegliche baulichen und kommunikativen Barrieren“ beseitigen. Hierfür soll ein Sonderinvestitionsprogramm von einer Milliarde Euro/Jahr für einen Zeitraum von fünf Jahren aufgelegt werden.

Das Wahlprogramm gibt es auch in „Leichter Sprache“: Die Linke: Wahlprogramm in leichter Sprache

Weitere Fakten:

-Doppelstrukturen in Bildung, Wohnen und Arbeit sollen aufgelöst werden.

-Strukturelle Zugangsbeschränkungen (Arbeitsmarkt, Verkehr, etc.) sollen abgebaut werden.

-Menschenrechte dürfen nicht unter Finanzierungsvorbehalt gestellt werden.

-Teilhabeleistungen sollen einkommens- und vermögensunabhängig sein.

-Es soll ein beschäftigungspolitisches Rahmenprogramm aufgelegt werden.

-Werkstätten sollen überflüssig gemacht werden und das Budget für Arbeit verbessert werden.

-Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) soll novelliert werden.

-DIE LINKE will ein barrierefreies Gesundheitssystem.

-Barrierefreiheit in den Medien und die Vertretung von Behindertenverbänden in den Rundfunkräten ist der Partei wichtig.

FDPFDP – Freie Demokratische Partei

Wohltuend hebt sich das FDP-Wahlprogramm gegenüber der CDU – ihrem Möchtegern-Koalitionspartner – ab. Sie hat nämlich weitaus mehr zum Thema Behindertenpolitik im Wahlprogramm stehen als die CDU. So sollen laut FDP Menschen mit Behinderung Wahlfreiheit über die individuelle Gestaltung des eigenen Lebens bekommen. Ferner soll Wunsch- und Wahlrecht auf Leistungen zur Teilhabe – zum Beispiel freie Wahl von Wohnort und Wohnform – umgesetzt werden. Allerdings soll dies im Rahmen eines vorgegebenen Budgets kostenneutral erfolgen.

Zudem ist für die FDP die Schließung von Förderschulen, in denen Kinder passend zu ihrem Bedarf gefördert werden konnten, ein Fehler. Das Ziel, Kinder mit Förderbedarf weitgehend in Regelschulen zu integrieren, ist laut FDP richtig. Das radikale Verständnis einer kompromisslosen Inklusion, wie es vielfach gefordert und betrieben wird, nimmt aber laut FDP weder auf den Förderbedarf des Einzelnen noch auf die Integrationsfähigkeit von Regelklassen Rücksicht.

Weitere Fakten:

-Die FDP setzt sich für mehr Barrierefreiheit ein. Daher sollen die Programme der Stadtentwicklung für Barrierefreiheit effizient umgesetzt werden.

-Im privaten Bereich ist es im Blick auf viele Betroffene ausreichend, wenn ein Teil der geförderten Wohnungen barrierefrei, ein anderer barrierearm umgebaut wird. So kann bei begrenzten Mitteln ein größerer Effekt erreicht werden – so die Einschätzung der FDP.

-Für die FDP ist Barrierefreiheit eine Haltung. Deshalb wird jeder Schritt in jedem Bereich, der Hindernisse aus dem Weg räumt und somit zu mehr Barrierefreiheit beiträgt, begrüßt.

SPDSPD – Sozialdemokratische Partei Deutschland

Die entscheidenen Aussagen tätigt die SPD auf der Seite 85 (von 116 Seiten): „Für die nächste Generation soll das tägliche Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderungen selbstverständlich sein. Eine menschliche Gesellschaft muss eine inklusive Gesellschaft sein. Die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention wollen wir darum weiter voranbringen“.

Ferner schreibt die SPD: „Das inklusive Leben muss von Anfang an gelernt werden und erlebbar sein; von der Kita über die Grundschulen und weiterführenden Schulen bis zu weiteren Bildungseinrichtungen. Wir unterstützen inklusive Bildung entlang der gesamten Bildungsbiographie. Insbesondere auch dadurch, dass wir die notwendigen räumlichen, technischen und personellen Ressourcen verbessern“. 

Weitere Fakten:

-Die Leistungen zur Teilhabe an der Gesellschaft hat sich – so die Einschätzung der SPD – mit dem Bundesteilhabegesetz bereits deutlich verbessert. Die Person und ihre Selbstbestimmung stehen im Mittelpunkt. Daran wollen wir anknüpfen und die Teilhabeleistungen weiterentwickeln.

-Lohndiskriminierung von Menschen mit Behinderung wollen wir vermeiden.

-Der Übergang von der Schule zur Ausbildung und zum Beruf soll verbessert werden, wie der Weg von Werkstätten hin zum allgemeinen Arbeitsmarkt.

-Pauschalen Steuerfreibeträge für Menschen mit Behinderungen sollen angepasst werden.

-Kommunen sollen bei der Schaffung inklusiver Sozialräume unterstützt werden.

-Die Kinder- und Jugendhilfe soll für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung da sein und entsprechend ausgestattet werden.

Zum Wahlprogramm in Leichter Sprache: SPD_Wahlprogramm_Leichte_Sprache

Wir wünschen Ihnen eine gute Wahl.