Ernüchtert und enttäuscht

Verbändeanhörung zur Entwicklung des Behindertengleichstellungsrechts

von: André Nowak

Am 9. Dezember 2015 fand im Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Anhörung der Verbände zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts statt. Im Mittelpunkt des Entwurfes aus dem Bundesministerium steht die Reform des seit 2002 geltenden Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG).
Über die Änderungen wurde mehrere Jahre intensiv diskutiert, denn durch die veränderten Lebensverhältnisse und die Anforderungen in Folge der seit 2009 in Kraft befindlichen UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) ist ein neues BGG überfällig. Dies hat auch die  CDU/CSU-SPD-Koalition erkannt und kündigte ein neues Gesetz im Koalitionsvertrag für diese Wahlperiode an.
Klar, dass die teilnehmenden Behindertenverbände sowie die Monitoringstelle zur UN-Behindertenrechtskonvention in ihren schriftlichen Stellungnahmen und Wortbeiträgen es ausdrücklich begrüßten, dass die Bundesregierung das Gesetzvorhaben mit dem vorliegenden Entwurf in Angriff nahm. Das war’s dann aber im Wesentlichen auch schon und dementsprechend die zahlreichen kritischen Anmerkungen von den Behindertenverbänden.

Kaum Bezug zur BRK

Der Referentenentwurf nimmt auf Ziele und Vorgaben der BRK kaum Bezug. So sollen auch künftig private Anbieter von Gütern und Dienstleistungen nicht zur Barrierefreiheit verpflichtet werden, obwohl die Verpflichtungen zur Schaffung von Barrierefreiheit laut UN-Behindertenrechtskonvention (insbesondere Artikel 9) nicht nur in Gebäuden von Bundesbehörden sondern in der gesamten öffentlich genutzten Infrastruktur nötig ist. Dies ist aus Sicht der Behindertenorganisationen nicht akzeptabel. Die Privatwirtschaft muss endlich hinsichtlich der Schaffung von Barrierefreiheit in die Pflicht genommen werden. Dies geht – so alle bisherigen Erfahrungen – nicht nur auf der Grundlage von Freiwilligkeit. Auch bei ökologischen und Sicherheitsstandrads, beim Brandschutz sowie Denkmalschutz gibt es klare gesetzliche Regelungen. Nicht akzeptabel sind auch die Zeiträume, die sich der Bund bei seinen eigenen Gebäuden geben will. So sollen noch 5 Jahre vergehen, bis die Bundesregierung sich eine Übersicht über den Ist-Zustand seiner Gebäude hinsichtlich der Barrierefreiheit verschaffen möchte.

Nur Schelme denken Arges

Auch an anderen Stellen wird versucht, die Verpflichtungen aus der UN-Behindertenrechtskonvention aufzuweichen. Ein Beispiel: So soll der Behindertenbegriff aus der BRK ins Gesetz übernommen werden. Das ist zu begrüßen. Unakzeptabel ist aber, dass hier mit Vorsatz die Begriffsdefinition aus Artikel 1 der BRK nur gekürzt übernommen werden soll. In der BRK ist das Ziel die „volle, wirksame und gleichberechtigte“ Teilhabe, im Referentenentwurf wird nur von der „gleichberechtigten“ Teilhabe gesprochen. Ein Schelm, wer Arges dabei denkt.
Nun bleibt abzuwarten, inwieweit die Anhörung der Betroffenenverbände zu Änderungen am Gesetzentwurf führen werden, welcher am 13. Januar 2016 faktisch unverändert von der Bundesregierung beschlossen wurde und in Kürze noch im Bundestag diskutiert und beschlossen werden soll.
Der Autor nahm für den Verein „Tourismus für Alle in Deutschland e.V. – NatKo“ an der Anhörung teil, die Stellungnahme der NatKo finden Sie unter www.natko.de.

 

UPDATE: Stellungnahmen zum Kabinettsbeschluss

Gesetz zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsrechts nimmt weitere Hürde

Während im Dezember die Anhörung stattfand, siehe Artikel von André Nowak auf dieser Seite, hat das Bundeskabinett den Gesetzentwurf für das novellierte Behindertengelcihstellungsgesetz am 13. Januar 2016 nunmehr beschlossen. Hierzu veröffentlichen wir die Stellungnahmen der Opposition.

Kein Quantensprung für Barrierefreiheit

Zum Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG), der heute im Bundeskabinett beschlossen wurde, erklärt Corinna Rüffer, Sprecherin für Behindertenpolitik:

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Corinna Rüffer, Sprecherin für Behindertenpolitik von Bündnis 90/Die Grünen.

Ein Quantensprung zu umfassender Barrierefreiheit wird mit dem vorgelegten Gesetzentwurf nicht gelingen. Denn es verpflichtet vor allem die Verwaltung des Bundes, während die Privatwirtschaft und private Anbieter außen vor bleiben. So kann von Einkaufszentren, Arztpraxen oder Cafés auch weiterhin keine Barrierefreiheit eingefordert werden. Damit ignoriert die Bundesregierung einen wesentlichen Kritikpunkt des UN-Fachausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderung.

Auch gibt es keine Frist, Barrieren in bereits bestehenden Gebäuden des Bundes abzubauen. Solche Barrieren müssen lediglich innerhalb von fünf Jahren benannt werden. Das ist geradezu lächerlich.

Natürlich ist es zu begrüßen, wenn Bescheide – etwa vom Jobcenter – nun in Leichter Sprache erläutert werden müssen. Aber selbst das wird es erst ab 2018 geben. Die Schlichtungsstelle für Streitigkeiten kann zwar die Hemmschwelle senken, sich über Benachteiligungen zu beschweren. Doch auch das gilt nicht für den privaten Sektor.

Der Gesetzentwurf bleibt weit hinter den Erwartungen und dem, was nach der Staatenprüfung zur UN-Behindertenrechtskonvention nötig gewesen wäre, zurück.

Eine halb barrierefreie Gesellschaft

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Katrin Werner, behindertenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE.

„Die Bundesregierung setzt auf eine nur halb barrierefreie Gesellschaft. Mit dem Gesetzesentwurf zur Novellierung des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) werden private Rechtsträger, die öffentliche Dienstleistungen anbieten, nicht zur Barrierefreiheit verpflichtet. Damit beschränkt sich das Gesetz auf öffentliche Träger und bleibt weit hinter den Erwartungen vieler Menschen mit Behinderungen zurück“, sagt Katrin Werner, behindertenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE.
Werner weiter: „Der Gesetzesentwurf enthält viele Verbesserungen wie die Bereitstellung von Informationen in ‚Leichter Sprache‘ durch öffentliche Träger, die Schaffung einer Schlichtungsstelle, die ein niedrigschwelliges Verfahren zur Einforderung von Rechten und Ansprüchen bietet und die Einrichtung einer Bundesfachstelle für Barrierefreiheit. Es werden jedoch keine zusätzlichen Gelder in die Hand genommen. Die Finanzierung soll allein durch Umschichtung im Haushalt erfolgen. Das lässt befürchten, dass das Gesetz zum zahnlosen Tiger verkommt. Wir brauchen ein Sofortprogramm für die Beseitigung von bestehenden baulichen und kommunikativen Barrieren in Höhe von einer Milliarde Euro jährlich für die nächsten fünf Jahre.“