Flüchtlinge mit Behinderung

„Medizinische Versorgung“ in Berlin!

von: Antje Szardning

Unter den vielen Flüchtlingen, die unter anderem auch in Berlin ankommen, befinden sich inzwischen bis zu 40 % Menschen mit Behinderungen. Neben dem Bedarf nach entsprechenden Unterkünften, zeigen sich zunehmend große Probleme hinsichtlich der strukturellen Unterversorgung, vor allem in  der Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen/AsylbewerInnen mit Behinderungen sowie Traumatisierung, also physische und seelische Beeinträchtigungen. Eine besondere Gruppe dabei bilden die Kinder.
Für alle gilt in erster Linie das Asylbewerberleistungsgesetz; für die medizinische Versorgung der § 4 sowie Flüchtlinge mit Behinderungen der § 6: Sonstige Leistungen.

Forderung der „AG Selbst Aktiv“

In Frage kommende Menschen müssen aber erst einmal identifiziert werden. Laut der EU-Richtlinie 2013/33/EU zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen, zählen sie neben Flüchtlingen mit Traumatisierung zu den besonders schutzbedürftigen Gruppen. Sie können somit nach § 6 des Gesetzes, über die Leistungen zur Versorgung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände, Arznei- und Verbandmitteln und evtl. Zahnersatz in Anspruch nehmen. Diese EU-Bestimmung soll durch eine Überarbeitung des Asylbewerberleistungsgesetzes (§§ 4, 6) vom Bund demnächst umgesetzt werden. Die Forderung der AG Selbst Aktiv (SPD) an den Landesparteitag (13.06.15) ist aber, die ‚Kann-Bestimmung’ des § 6 (Leistungen über die medizinische Grundversorgung hinaus) in eine verpflichtende gesetzliche Grundlage umzuwandeln. Diese Entscheidung liegt nämlich bisher völlig im Ermessen der VerwaltungsmitarberInnen der länderspezifischen Leistungsstellen.
Zur Verringerung umfangreicher und langandauernder Verwaltungstätigkeit wird der Senat von Berlin von der SPD auch aufgefordert, die Gesundheits-Chipkarte (ähnlich wie in Bremen und Hamburg) einzuführen.

Problematik Erstaufnahmeland

Bislang existieren also weder ein konkretes Verfahren zur Feststellung einer Behinderung, noch konkrete Bestimmungen zur gesundheitlicher Versorgung. In Berlin wurde das zum Beispiel durch das Berliner Netzwerk für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge  (BNS) realisiert. Menschen mit Behinderung – und damit Flüchtlinge – sollten eigentlich auf internationaler Ebene besonderem Schutz (u.a. gegebenenfalls Abschiebungsverbot) unterliegen. Große Probleme treten aber auf, wenn die betroffenen Asylsuchenden in das Erstaufnahmeland, welches auch für das Asylverfahren zuständig ist (laut Dublin-Verordnung, zurückgeschickt werden, obwohl die spezielle gesundheitliche Versorgung dann nicht abgesichert ist. Behinderte Flüchtlinge ohne Asylbegehren können auch wegen der oft schlechten Gesundheitsversorgung nicht in das Heimatland zurückgeschickt werden. Beim Aufenthaltsrecht sowie dem Asylverfahren sollte deshalb immer die Behinderung mit berücksichtigt werden.

Praxis in Berlin

Die gegenwärtige Berliner Praxis sieht so aus: Betroffene Personen werden durch die Erstaufnahmewohnheime, beziehungsweise Zentrale Aufnahmeeinrichtungen, an entsprechende Hilfeanlaufstellen des „Berliner Netzwerkes für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge“ weitergeleitet. Hilfe bietet zum Beispiel das Berliner Zentrum für Selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen (BZSL e.V.) – speziell durch ein Projekt, in welchem behinderte Flüchtlinge Beratung und Psychotherapie erhalten. Leider wird dieses wichtige Projekt seit  Anfang 2015 nicht mehr finanziert. Zur Absicherung einer ausreichenden berlinweiten Beratung müsste diese Stelle aber sogar wesentlich mehr Kapazitäten erhalten. Deshalb sind es gegenwärtig eher Ärzte, die weiterleiten. Das sind jedoch nur ‚Zufallsentdeckungen’.
Die Versorgung hängt vor allem vom Aufenthaltsstatus ab. Ist dieser ungeklärt, werden zum Beispiel notwendige Hilfsmittel viel zögerlicher bewilligt. Generell ist die Versorgung vollkommen unzureichend. Hier stellt sich die Frage, ob das mit der Behindertenrechtskonvention (BRK) vereinbar ist?
Laut der Monitoring-Stelle des Deutschen Instituts für Menschenrechte hat die Staatenberichtsprüfung zum Umsetzungsstand der UN-BRK in Deutschland (03/2015 in Genf) ergeben, dass behinderte Asylsuchende, beziehungsweise Flüchtlinge mit Barrieren beim Zugang zur Gesundheitsversorgung zu kämpfen haben. Deutschland wird aufgefordert, für eine bessere Zugänglichkeit zu sorgen.

Wichtige Anlaufstellen:

  • Fachstelle für Flüchtlinge mit Behinderung 
(BZSL e.V.).
Gustav-Adolf-Str. 130/ 13086 Berlin-Weißensee
  • Fachstelle für traumatisierte Flüchtlinge und Gewaltopfer (Zentrum Überleben), im Gesundheits- und Sozialzentrum Moabit 
Turmstr. 21/ 10559 Berlin-Moabit.