Gemeinsam gegen Diskriminierung

Lebenshilfe überreicht mehr als 150.000 Unterschriften.

von: Dominik Peter

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“Diese 151.698 Unterschriften sind ein Zeichen gegen Ausgrenzung und Diskriminierung – und für mehr Teilhabe“, sagte Ulla Schmidt, Bundesvorsitzende der Lebenshilfe und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Die Unterschriften übergab sie um 14.30 Uhr an die Vorsitzende des Ausschusses für Arbeit und Soziales, Kerstin Griese (MdB) und den Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses, Dr. Edgar Franke (MdB).

Deutlich mehr als 7.000 Menschen mit und ohne Behinderung waren aus ganz Deutschland zu der großen Kundgebung zum Brandenburger Tor gekommen, um für ein besseres Bundesteilhabegesetz und Pflegestärkungsgesetz 3 zu demonstrieren. Die Gesetzentwürfesind aus Sicht der Lebenshilfe inakzeptabel. Mehr als 150.000 Menschen haben ihre Unterschrift gegeben, damit „nicht ein bisschen Teilhabe, sondern Teilhabe voll und ganz“ umgesetzt wird, wie Barbara Stamm,  Vorsitzende des Lebenshilfe-Landesverbandes Bayern und Präsidentin des Bayerischen Landtags, in ihrer Rede forderte.

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Aktivisten bei der Demo. Bild: Jörg Farys | Gesellschaftsbilder.de

Die Parlamentarier in Bund und Ländern beraten mit diesen beiden Gesetzentwürfen die Unterstützung von Menschen mit Behinderung in Zukunft. Ramona Günther, Mitglied im Rat behinderter Menschen und im Bundesvorstand, unterstrich die Bedeutung von Selbstbestimmung und individueller Lebensführung für Menschen mit Behinderung. Agi Palm, Mitglied im Bundeselternrat und Mutter einer jungen Frau mit schwerer Mehrfachbehinderung, forderte gute Wohnmöglichkeiten für alle aufrecht zu erhalten. Die aus dem ganzen Bundesgebiet angereisten Demonstranten unterstützten diese Forderungen an die Politik: Für ein gutes Bundesteilhabegesetz sind Änderungen unabdingbar!

 

Fachverbände übergeben Kernforderungen zum Bundesteilhabegesetz –
5.000 Menschen mit und ohne Behinderung bei Kundgebung vor dem Reichstag

Vor der Veranstaltung am Brandenburger Tor haben drei Fachverbände für Menschen mit Behinderung – Bundesverband evangelische Behindertenhilfe (BeB), Bundesverband anthroposophisches Sozialwesen (Anthropoi BV) sowie Bundesverband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) – bei einer Kundgebung unter dem Motto „TEILHABE – jetzt erst Recht!“ ihre Kernforderungen zum Bundesteilhabegesetz (BTHG) an die Politik übergeben.

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Fotograf: Jörg Farys | Gesellschaftsbilder.de

Vor dem Reichstagsgebäude in Berlin waren rund 5.000 Menschen mit und ohne Behinderung oder psychischer Erkrankung zusammengekommen. Neben Beiträgen der Fachverbände, Selbstvertreter/innen und Angehöriger hat im Laufe der Kundgebung Michael Conty, v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel und ehemaliger Vorsitzender des BeB, der die Fachverbände im Beteiligungsprozess zum Gesetzgebungsverfahren vertreten hat, unmittelbar von der Anhörung im Bundestags-Ausschuss für Arbeit und Soziales zum BTHG berichtet. Dabei wurde eine ganze Reihe strittiger Themen angesprochen, aber nicht deutlich, in welchen Bereichen tatsächlich Nachbesserungen zu erwarten sind.

Im Anschluss nahm Mechthild Rawert (SPD) stellvertretend für die Abgeordneten des Deutschen Bundestags die sechs Kernforderungen der Fachverbände für Menschen mit Behinderung entgegen. Sie dankte aus Sicht der Politik für das Engagement der rund 5000 Teilnehmenden, die aus ganz Deutschland angereist waren. Die Veranstalter sahen sich darin bestätigt, wie wichtig es ist, zu diesem zentralen Gesetzesvorhaben Impulse zu geben und dafür zu kämpfen, dass die Mängel am BTHG beseitigt werden und es für Menschen mit Behinderung ein gutes Gesetz wird.

Das BTHG ist ein geplantes Gesetz, das die Leistungen für Menschen mit Behinderung neu regelt. Dadurch sollen die derzeitigen rechtlichen Regelungen im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) reformiert, aus der Sozialhilfe herausgelöst und zu einem modernen Teilhaberecht weiterentwickelt werden. Das BTHG soll noch im Jahr 2016 im Deutschen Bundestag (und Bundesrat) verabschiedet werden. Ziel ist es, die Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung zu stärken. Im aktuellen Gesetzentwurf stehen aber noch viele Regelungen, die aus Sicht der Fachverbände keinesfalls akzeptiert werden können, da sie zu Verschlechterungen für die behinderten Menschen führen würden.

Die sechs Kernforderungen der Fachverbände für Menschen mit Behinderung mit dem Titel „Teilhabe – jetzt erst Recht! Verschlechterungen verhindern!“ sind unter www.diefachverbaende.de zu finden.

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Fotograf: Jörg Farys | Gesellschaftsbilder.de

Teilhabegesetz enttäuscht, Nachbesserungen sind dringend nötig

Zur Anhörung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales zum Bundesteilhabe-gesetz, erklärt Corinna Rüffer, behindertenpolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion:

Der Entwurf für ein Bundesteilhabegesetz ist in der heutigen Anhörung in großen Teilen durchgefallen. Selbst die Expertinnen und Experten, die von Union und SPD eingeladen wurden, mahnten Verbesserungen an.

Die Liste der Probleme, ist lang: So wurde zunächst die Neuregelung des Zugangs zu Leistungen scharf kritisiert. Nahezu alle Sachverständigen sahen die Gefahr, dass zukünftig Menschen Leistungen nicht mehr erhalten werden, obwohl sie darauf angewiesen sind. Darüber hinaus wiesen viele Sachverständige kritisch darauf hin, dass Menschen mit Behinderungen weiterhin selbst für die Leistungen zahlen müssen, die ihnen Teilhabe ermöglichen sollen. Von den Verbesserungen bei der Anrechnung von Einkommen und Vermögen werde nur ein kleiner Personenkreis profitieren. Das ist menschenrechtlich problematisch. Auch mit Blick auf die Wohnsituation behinderter Menschen sahen die Sachverständigen Nachbesserungsbedarf. Der Vorrang inklusiver Lösungen sei im Gesetz zu verankern. Schließlich stand auch das so genannte „Zwangspoolen“ in der Kritik. Es sei mit einer selbstbestimmten Lebensführung nicht vereinbar, wenn behinderte Menschen sich gegen ihren Willen einen Assistenten oder eine Assistentin teilen müssten. Zahlreiche Probleme gebe es auch mit Blick auf die Teilhabe an Bildung. Auch Menschen mit Behinderungen müssten die Möglichkeit haben, ein freiwilliges Praktikum im Ausland zu absolvieren, Abitur zu machen und einen Masterstudiengang zu absolvieren. Das sehe der Gesetzentwurf bisher nicht vor. Das ehrenamtliche Engagement behinderter Menschen werde durch den Gesetzentwurf ebenfalls erschwert. Assistenzleistungen für ein Ehrenamt zu bewilligen, wird den Sozialhilfeträgern zukünftig noch schwerer möglich sein. Um die Situation behinderter Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verbessern, sei es geboten, die Schwerbehindertenvertretungen konsequent zu stärken. Entscheidungen der Arbeitgeber, insbesondere Personalfragen, sollten nur gültig werden, sofern die Schwerbehindertenvertretung vorher darüber informiert wurde.

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Fotograf: Jörg Farys | Gesellschaftsbilder.de

Schließlich wurde der Ausschluss von Asylsuchenden und Menschen ohne gesicherten Aufenthaltsstatus von Leistungen der Eingliederungshilfe kritisiert: Schon bestehende Probleme in der Hilfsmittelversorgung würden so verschärft. Behinderte Kinder, deren Eltern nach Deutschland geflüchtet sind, werden zum Beispiel weiterhin keine Unterstützung in der Kita erhalten, sie haben keinen Anspruch auf Frühförderung und bestehende Beeinträchtigungen werden sich leicht verschlimmern.

Die Bundesregierung hat einen schlechten Gesetzentwurf vorgelegt. Sie ist an den eigenen Ansprüchen, ein modernes Teilhaberecht zu schaffen, fulminant gescheitert. Es liegt jetzt in der Macht des Parlaments, das Gesetz zu verbessern. Er habe noch kaum einen Gesetzentwurf erlebt, der derartig scharf kritisiert wurde, so leitete der Obmann der Unionsfraktion im Ausschuss seine erste Frage ein. Ich hoffe, die Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD nehmen sich die Kritik zu Herzen und arbeiten gemeinsam mit der Opposition an der Verbesserung des Gesetzes.

Massive Kritik am Bundesteilhabegesetz

„Mit dem Bundesteilhabegesetz möchte die Bundesregierung ein „modernes Teilhaberecht“ schaffen, das aus dem derzeitigen „Fürsorgesystem“ herausführt. Menschen mit Behinderungen sollen bessere Unterstützung bei der gesellschaftlichen Teilhabe erhalten und ihr Wunsch- und Wahlrecht soll gestärkt werden. Dieses Ziel hat die Bundesregierung im vorliegenden Gesetzesentwurf klar verfehlt. Das wurde bei der gestrigen Anhörung deutlich“, sagt Katrin Werner.

In der öffentlichen Anhörung zum geplanten Bundesteilhabegesetz machten die Sachverständigen auf die Hauptkritikpunkte und Unvereinbarkeiten mit der UN-Behindertenrechtskonvention aufmerksam und forderten Nachbesserungen. In der Kritik stand u.a. die befürchtete Einschränkung des leistungsberechtigten Personenkreises, die ungelösten Schnittstellenprobleme und Verschlechterungen in Bezug auf die Pflegeversicherung und die gemeinsame Inanspruchnahme von Teilhabeleistungen, das sogenannte Zwangspooling.

„Das geplante Bundesteilhabegesetz wurde gestern deutlich und massiv von nahezu allen Sachverständigen kritisiert. Die Vorschläge der Betroffenen und ihrer Selbstvertretungsorganisationen liegen seit Monaten auf dem Tisch. Die Große Koalition muss jetzt endlich handeln und auf Grundlage der UN-BRK ein Teilhaberecht schaffen, das seinen Namen verdient“, so Katrin Werner.