Der Nationale Bildungsbericht enthält viele gute Nachrichten. Der Trend zu besserer Bildung in Deutschland sei unverkennbar, stellt der vorgelegte Bericht fest. Demnach nehmen immer mehr Kleinkinder an frühkindlicher Bildung teil. Zudem gibt es mehr Abiturienten und so viele Studienanfänger wie noch nie. Zudem steigt die Zahl der erfolgreichen Hochschulabsolventen und auch die Beteiligung an betrieblicher Weiterbildung.
Kritische Töne
Dennoch bleiben zu viele Jugendliche ausgegrenzt: Noch immer ist Bildungserfolg extrem abhängig von der sozialen Herkunft.
Als Schwerpunkt benennt der Bildungsbericht die Inklusion von Menschen mit Behinderungen auf allen Stufen und in allen Bereichen des Bildungssystems. Hasselhorn betont: „Die Umsetzung der Inklusion stellt Bildungspolitik und Bildungspraxis vor grundlegende Herausforderungen, insbesondere vor dem Hintergrund bestehender Strukturen und gewachsener Selbstverständnisse.“ Im Schwerpunktkapitel werden die Dimensionen dieses Handlungsfelds thematisiert:
- Bildungsteilhabe und Bildungsangebote: Das Bildungssystem trägt dem Grundsatz optimaler Förderung von Menschen mit Behinderungen bislang vor allem mit spezialisierten institutionellen Angeboten Rechnung. Insbesondere im Schulbereich ist zu klären, wo welche Schülerinnen und Schüler inkludiert und wo Sondereinrichtungen zumindest in Teilen beibehalten werden sollten.
- Ressourcen: In den einzelnen Institutionen des Bildungssystems besteht ein unterschiedliches Verständnis von Bildung und Lernen und dementsprechend Inklusion. Das Sozialsystem ist wiederum auf Individualansprüche ausgerichtet. Trotz unterschiedlicher Rechtsgrundlagen gilt es, diese Ansätze zu verbinden.
- Diagnostik: Zentrale Bedeutung für die Inklusion kommt der Diagnostik zu. Sie muss unter Beibehaltung professioneller Standards weiterentwickelt werden, um vermehrt zur Unterstützung von Bildungsprozessen genutzt werden zu können. In vielen Bereichen des Bildungssystems wird dies nicht ohne die Entwicklung neuer diagnostischer Werkzeuge möglich sein.
- Personal und Qualifikation: Es ist von hoher Bedeutung, das pädagogische Fachpersonal gemäß den Anforderungen eines inklusiven Bildungssystems zu qualifizieren. Das Augenmerk sollte sich darüber hinaus auf den richtigen Einsatz der unterschiedlichen pädagogischen Spezialisierungen und auf die Finanzierung des Personals richten.
Weitere Informationen: www.bildungsbericht.de
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Die Berliner Behindertenzeitung veröffentlicht zu diesem Thema sowohl die Stellungnahmen der SPD und von Bündnis 90/Die Grünen als auch der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen:
SPD: Der heute vorgestellte Nationale Bildungsbericht macht deutlich, dass wir bei der Umsetzung der Inklusion im Bildungssystem weiterhin vor umfassenden Herausforderungen stehen. Wir müssen vor allem die Unklarheiten bei den Zuständigkeiten zwischen Sozial- und Bildungssystem beseitigen und das Personal an den Bildungseinrichtungen besser vorbereiten und unterstützen.
„Zurecht betonen die Autoren des Nationalen Bildungsberichtes, dass Inklusion eine umfassende und sich über alle Etappen einer Bildungsbiografie erstreckende Herausforderung ist. Das erfordert große Anstrengungen der Akteure im Bildungswesen und nicht selten auch ein grundlegendes Umdenken.
Inklusive Bildung wird nur gelingen, wenn wir die Menschen, die sie im täglichen Betrieb umsetzen sollen, dafür begeistern und optimal qualifizieren. Wir brauchenProfis für Inklusion. Inklusive Bildung muss daher wichtiger Bestandteil der Aus- und Fortbildung in allen pädagogischen Berufen werden. Der Nationale Bildungsbericht zeigt auf, dass gerade hier noch großer Handlungsbedarf besteht.
Für die Politik ergeben sich darüber hinaus aus dem Nationalen Bildungsbericht wichtige Hinweise für die weiteren Beratungen. Dies gilt insbesondere für die im Bericht zu Recht kritisierten mangelnden Schnittstellen zwischen Bildungssystem und Sozialsystem. Wir müssen Unklarheiten und Unübersichtlichkeiten bei den Zuständigkeiten beseitigen und zugleich eine Hilfeleistung aus einer Hand ermöglichen. Dies muss auch bei der Reform der Eingliederungshilfe als dem großen Sozialreformprojekt der Großen Koalition für diese Wahlperiode berücksichtigt werden.“
Bündnis 90/Die Grünen: „Es bewegt sich was, aber leider viel zu wenig. Für die Bundesregierung gibt es keinen Grund, zufrieden zu sein. Bildung ist der Großen Koalition kaum etwas wert. Während das Rentenpaket bis 2017 weit über 30 Milliarden Euro kostet, investiert die Große Koalition nur sechs Milliarden in die Bildung. Das ist zukunftsvergessen, da stimmen die Verhältnisse nicht.
Wir brauchen in der Bildungspolitik Mut zu klaren Prioritäten. Ganz vorne stehen muss die Förderung benachteiligter Kinder und Jugendlicher, die in unserem Bildungssystem viel zu lange aussortiert wurden. Unser Bildungssystem muss endlich lernen, mit Vielfalt umzugehen, darum ist mehr individuelle Förderung das Gebot der Stunde. Das gilt für Kinder mit Migrationshintergrund ebenso wie für solche mit Behinderungen und aus nicht-akademischen Familien. Hier gibt es noch so viel Potenzial, das in unserem Bildungssystem ausgebremst wird. Angesichts des absehbaren Fachkräftemangels sind wir auf diese Talente auch unbedingt angewiesen.
Das Kooperationsverbot in der Bildung zwischen Bund und Ländern ist ein Klotz am Bein aller, die ernsthaft einen Bildungsaufbruch wollen. Wir brauchen hier einen klaren Kurswechsel. Bund, Länder und Kommunen müssen die Herausforderungen in einer gemeinsamen Kraftanstrengung angehen. Es ist nicht zu vermitteln, dass der Bund Schulen im Ausland unterstützen darf, aber nicht im eigenen Land. Bei einer solchen Reform geht es nicht um eine Einschränkung des Föderalismus, sondern vielmehr um seine Zukunft und Akzeptanz in der Bevölkerung.“ (Cem Özdemir, Bundesvorsitzender von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN).
Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen: Der am 13. Juni 2014 vorgestellte Bericht „Bildung in Deutschland 2014“ befasst sich in seinem Schwerpunkt mit dem Thema „Menschen mit Behinderungen im Bildungssystem“. Der von Bund und Ländern gemeinsam in Auftrag gegebene Bericht legt eine empirische Bestandsaufnahme zum Bildungswesen in Deutschland vor.
Die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Verena Bentele, begrüßte insbesondere die Befassung mit dem wichtigen Thema Inklusion: „Die Bedeutung der schulischen Inklusion für das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung ist inzwischen allseits anerkannt. Es muss jetzt darum gehen, die Grundlagen für das Gelingen von Inklusion im Bildungswesen zu verbessern“. Dabei müsse Inklusion in allen Bundesländern den gleichen Stellenwert haben und überall nachhaltig verfolgt werden, hob die Behindertenbeauftragte hervor. Zu begrüßen sei, dass in Zukunft alle angehenden Lehrkräfte Basismodule zum Thema Inklusion belegen werden. Verena Bentele betonte: „Die Aus- und Weiterbildung des pädagogischen Personals ist zentral für das Gelingen der schulischen Inklusion. Denn nur durch eine fundierte Ausbildung hat jede Lehrerin und jeder Lehrer den erforderlichen Zugang zur Inklusion.“
