„Inklusion kann nur erfolgen, wenn Menschen selbst bestimmen“

Fünf Fragen an Andreas Schimmer, Geschäftsführer des WIB-Verbundes.

von: Berliner Behindertenzeitung

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Andreas Schimmer, Foto: privat.

Andreas Schimmer ist seit August 2013 Geschäftsführer des WIB-Verbundes in Berlin Weißensee. Von 2010 bis 2013 war er Geschäftsführer der SRH Fachschulen mit Sitz in Heidelberg und von 2001 bis 2010 des diakonischen Bildungsinstitutes IBAF in Rendsburg. Davor war er sieben Jahre  im Amt für Öffentlichkeitsarbeit der Nordelbischen Kirche tätig. Sein Diplom der Theologie hat er in Hamburg abgelegt. Geboren und aufgewachsen ist er in Baden-Württemberg. Die Fragen stellte Miguel-Pascal Schaar.

Herr Schimmer, Sie sind Geschäftsführer der WIB – Weißenseer Integrationsbetriebe. In welchen Feldern engagiert sich die WIB?

Andreas Schimmer: Die Stärke des WIB-Verbundes liegt in der Arbeit mit Menschen psychischer Erkrankungen. Seit 23 Jahren entwickelt sich WIB in den Lebensbereichen Wohnen, Tagesstruktur und Beratung sowie Arbeit immer weiter. Zu den Angeboten gehören Therapeutische Wohngemeinschaften, Apartmentwohnen und Betreutes Einzelwohnen, Tagesstätten, eine Kontaktberatungsstelle wie auch Zuverdienst, Integrationsbetriebe, Werkstatt für Menschen mit Behinderung sowie Integrationsfachdienste – diesen auch für taube Menschen in ganz Berlin.

Welche besonderen Herausforderungen haben Sie derzeit zu meistern? Vor welche Probleme stellen Sie der angespannte Wohnungsmarkt und die Liegenschaftspolitik des Senats?

Andreas Schimmer: Unser Ziel ist es, den Menschen eine möglichst große Eigenständigkeit für alle Bereiche ihres Lebens zu ermöglichen. Die angespannte Wohnungslage in Berlin macht dies für viele unserer Klienten selbst mit unserer Unterstützung unmöglich. Aktuell betrifft dies zusätzlich eines unserer Wohnangebote. Ein Eigentümerwechsel führt zu für die Klienten unerschwinglich hohen Mietenforderungen. So ist eine unserer Herausforderung, neuen Wohnraum zu finden, der geeignet, bezahlbar und nicht längerfristig vermietet ist. Entsprechende Berliner Liegenschaften scheint es in Weißensee für uns nicht zu geben.

Erweist sich Inklusion von Menschen mit Behinderungen angesichts dieser Entwicklungen als eine Leerformel oder gibt es Perspektiven und politische Optionen?

Andreas Schimmer: Inklusion kann nur erfolgen, wenn Menschen selbst bestimmen, wie sie leben wollen. Neben unseren Wohnprojekten ist unser Anliegen, dass Menschen sich selbst eine Wohnung anmieten können. Für unsere Klienten bietet der Wohnungsmarkt kaum noch etwas. Das Land Berlin eröffnet uns keine Möglichkeiten. Die Geschäftsführer und Mitarbeiter der Wohnungsbaugenossenschaften kennen das Problem, können uns aber keine Angebote machen. Die Wohnungssuchenden mit wenig finanziellen Möglichkeiten stehen miteinander im Wettbewerb um die wenigen freien, bezahlbaren Wohnungen.

Es gibt aber eine weitere Herausforderung, die in Zeiten der Wohnungsknappheit besonders auftritt. Als sozialer Träger sind wir eine juristische Person. Wenn wir Wohnungen anmieten, bedeutet dies nach aktueller Rechtsprechung, dass nicht das Wohnungsmietrecht Anwendung findet, sondern wir wie jeder gewerblich Tätige behandelt werden. Den Schutz vor Mieterhöhung und Kündigung können wir nur sicher bieten, wenn wir Immobilien kaufen. Perspektiven scheint es folglich geben zu können, wenn die sozialen Träger selbst Wohnangebote vorhalten – dies ist aber meines Erachtens nicht deren Auftrag, sondern des Landes und der Stadt Berlin.

Wir beobachten in den Bereichen von Betreuung, Wohnen und Arbeit, dass das staatliche Engagement für Inklusion von Menschen mit Behinderung zurückgeht. Integrationsfachdienste müssen ihre Arbeit einschränken, um jede Minute der Betreuung wird hart gekämpft, Wohnmöglichkeiten sind stark eingeschränkt – auch an den Randbezirken der Stadt.

Senator Müller hat im Juni ein Ende der bisherigen Politik angekündigt: „In Zukunft werden Liegenschaften des Landes Berlin unter Berücksichtigung von wohnungspolitischen Anforderungen oder auch aufgrund von zum Beispiel sozial- oder wirtschaftspolitischen Erfordernissen vergeben.“ Spüren Sie etwas von dieser Neuausrichtung vor Ort?

Andreas Schimmer: Bisher hören wir leider nur von zukünftigen Absichtserklärungen. Wir hoffen aber, dass dieses Thema offensiver in den entsprechenden Fachbereichen des Senats aufgenommen wird.

Im Juni hatte die WIB zusammen in Zusammenarbeit mit der Pinel Gesellschaft und dem Paritätischen Berlin zur Diskussionsveranstaltung „Wohnen für Menschen mit seelischen Behinderungen – Inklusive Perspektiven?“ eingeladen. Haben sich daraus neue Perspektiven und Handlungsoptionen für Ihre Arbeit entwickelt?

Andreas Schimmer: Es gibt einzelne Politiker auf allen Ebenen, die sich engagieren. Pinel hat in dieser Frage viel gekämpft und damit eine Lösung für die eigenen Klienten erstritten wie auch eine Sensibilisierung bei den Mitgliedern der entscheidenden Gremien und den politisch Verantwortlichen gesorgt. Daran gilt es anzuknüpfen. Ich nehme aus der Veranstaltung mit, dass der berechtigte Ärger der Betroffenen noch viel stärker sichtbar gemacht werden müsste. Vielleicht gelingt es, die meisten Träger von Wohnprojekten zu organisieren, um in die Diskussion oder auch Auseinandersetzung mit dem Senat und Bezirken zu gehen und so nachhaltige Lösungen für die Menschen mit seelischen Behinderungen in Berlin zu finden.

Mehr über den WIB Verbund finden Sie hier.

Quelle: Paritätische Wohlfahrtsverband – Landesverband Berlin