Inklusionsbeirat fordert: Sexualstrafrecht reformieren, aber richtig!

Sexuelle Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung muss geschützt werden.

von: Berliner Behindertenzeitung

Frauen und Mädchen mit Behinderung sind überdurchschnittlich oft von Gewalt 
betroffen. Etwa jede zweite Frau mit Behinderung erfährt
sexualisierte Gewalt im Lebensverlauf, 21 bis 43 Prozent aller behinderten
Frauen erleben laut einer Studie des Familienministeriums aus dem Jahr 2012
erzwungene sexuelle Handlungen im Erwachsenenalter. 

Im Zusammenhang mit der 2015 angekündigten Reform des Sexualstrafrechts hat 
der Inklusionsbeirat der Staatlichen Koordinierungsstelle nun ein 
Positionspapier verabschiedet. Dieses stellt zusammengefasst die aktuelle 
Rechtslage dar - und fordert konkrete Änderungen der entsprechenden 
Paragraphen des Strafgesetzbuches. 

Nach aktueller Rechtslage ist eine sexuelle Handlung nur dann strafbar, 
wenn Gewalt angewendet wurde, damit gedroht oder eine schutzlose Lage 
ausgenutzt wurde (§ 177 StGB). Sie wird also auch dann nicht bestraft, wenn 
sie gegen den ausdrücklichen Willen einer Person stattgefunden hat - wenn 
beispielsweise ein klares "Nein" geäußert wurde. Zahlreiche Verbände fordern hier 
seit langem eine Änderung. 
Sexuelle Handlungen gegen sogenannte widerstandsunfähigen Personen (§
179 StGB, häufig angewandt auf Opfer mit Behinderung) sind zwar auch ohne
Gewaltanwendung oder -androhung strafbar. Allerdings ist hier das
Mindest-Strafmaß geringer als bei Anwendung des § 177 (6 Monate nach § 179, 12
Monate nach § 177). Bei der Strafbarkeit sexueller Handlungen besteht also eine
Ungleichbehandlung der Opfer. Lediglich in besonders schweren Fällen gilt in
beiden Paragraphen das Mindestmaß von zwei Jahren. 

Ein weiteres Problem ist, dass bei Menschen mit Behinderung häufig Anklage nach
§ 179 erhoben wird, obwohl sie in der Lage sind, einen Willen zu bilden und 
nicht "widerstandsunfähig" sind. Bei einer Verurteilung erwartet die Täter also 
ein geringeres Strafmaß als bei einer Verurteilung nach § 177.

Sowohl das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von 
Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) aus dem Jahr 
2014 als auch die UN-Behindertenrechtskonvention erfordern eine Änderung des 
bestehendenSexualstrafrechts. 

Der Inklusionsbeirat fordert deswegen:

- Alle sexuellen Handlungen, die nicht mit ausdrücklicher Zustimmung erfolgen, 
sind in § 177 StGB unter Strafe zu stellen ("Ja heißt Ja"). Damit würde sich
grundsätzlich die Unterscheidung in widerstandsfähig und -unfähig erübrigen und
§ 179 StGB würde entbehrlich.
- Wenn § 177 StGB nicht in dem vorgenannten Sinne
("Ja heißt Ja") geändert, sondern nur der Grundsatz "Nein heißt Nein" umgesetzt
wird, dann muss zwingend auch § 179 StGB mit verändert werden, um die
ungerechtfertigte Ungleichbehandlung widerstandunfähiger behinderter Menschen
nicht noch weiter zu vertiefen. In diesem Falle muss der Strafrahmen des § 179
StGB bei sexuellen Missbrauch dem Strafrahmen des § 177 StGB angeglichen werden.
Das besondere Unrecht dieser Taten liegt gerade darin, dass sich der Täter an
einem widerstandsunfähigen Opfer vergreift. Auch beim Diebstahl nach § 243 Abs.
1 Nr. 6 StGB wird die Hilflosigkeit des Opfers gerade strafschärfend
berücksichtigt.  

Der Inklusionsbeirat bildet das oberste
Entscheidungsgremium der Staatlichen Koordinierungsstelle. In ihm sind
mehrheitlich Menschen mit Behinderung vertreten sowie jeweils eine Vertreterin
oder ein Vertreter der Staatlichen Anlaufstelle (Focal Point), der Konferenz der
Landesbehindertenbeauftragten und der Monitoring-Stelle. Den Vorsitz hat die
Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen. Mehr
Informationen hier:

www.behindertenbeauftragte.de/Koordinierungsstelle 


Kontakt: 
koordinierungsstelle@behindertenbeauftragte.de