Gerhard Buchholz ist bei visitBerlin, dem für den Berliner Tourismus zuständigen Unternehmen, unter anderem für das Thema Barrierefreier Tourismus zuständig. André Nowak führte für die BBZ am Rande der ITB 2015, der weltweit größten Tourismusmesse in Berlin, Anfang März nachfolgendes Interview.
BBZ: Herr Buchholz, Berlin will hoch hinaus, oft ohne Menschen mit Mobilitätseinschränken mit hinauf zu nehmen. Ich denke da an eines der bekanntesten Wahrzeichen Berlins, den Berliner Fernsehturm. Auch viele andere touristische Attraktionen sind für Menschen mit Behinderungen nicht zugänglich. Nun soll der Müggelturm endlich saniert und wieder in Betrieb genommen werden. Aber auch hier ist mit Verweis auf den Denkmalschutz nicht geplant, einen Aufzug anzubauen. Ist das aus Ihrer Sicht noch akzeptabel?
Gerhard Buchholz: Das der Müggelturm wieder zu einer touristischen Adresse wird, ist mehr als überfällig! Natürlich freuen wir uns, dass der Investor mit seiner Initiative Besucherströme in den Berliner Südosten lenken wird und ich habe ihm unsere Unterstützung dabei zugesichert. Der Denkmalschutz sollte mehr zu einem „Denkmalnach-Schutz“ werden und neben der legitimen Bewahrung auch die Zukunft im Auge haben. Unsere Tätigkeit im europäischen Netzwerk zeigt uns immer wieder, wie andere Städte mit historischen Gebäuden umgehen und Barrierefreiheit ermöglichen. Ich hoffe, dass wir hier auf bezirklicher Ebene noch einen vernünftigen Kompromiss erreichen. Wer einmal den Blick vom Turm genossen hat, erkennt diese wunderbare Stadt mit anderen Augen. Dies sollte für alle möglich sein.
BBZ: Berlins Tourismus-Boom eilt von Rekord zu Rekord. Wachsende Besucherzahlen erfordern aber auch verbesserte Strukturen. Ist Berlin gut darauf vorbereitet?
Gerhard Buchholz: In der Tat, wer hätte diese Entwicklung noch vor wenigen Jahren zu prognostizieren gewagt? 2014 gab es mit knapp 29 Millionen registrierten Übernachtungen eine weitere Rekordmarke. Wir liegen europaweit auf Platz drei im Städtetourismus nach London und Paris. Dieser Erfolg ist auch wichtig, weil die Stadt ganz stark vom Tourismus lebt. Das bedeutet aber auch, dass Berlin als guter Gastgeber eine entsprechende touristische Infrastruktur vorhalten muss. Daran müssen wir noch intensiver arbeiten.
BBZ: Was bedeutet das beispielsweise für Menschen mit Behinderungen, die die deutsche Hauptstadt besuchen möchten?
Gerhard Buchholz: Berlin, als die Stadt der Freiheit, der Geschichte und Kultur, fasziniert natürlich auch immer mehr Menschen mit eingeschränkter Mobilität. Moderne Verkehrssysteme und digitale Informationssysteme erlauben den Menschen heute, komfortabler mobil zu sein. Hier liegt eine große Chance für Berlin. Die steigende Internationalität der Gäste, mittlerweile kommen fast 44 Prozent der Gäste aus dem Ausland, erfordert den weiteren zügigen Ausbau barrierefreier Angebote. Amerikaner oder Skandinavier erwarten auch hier den gewohnten Standard. Im Vergleich zu anderen Städten brauchen wir uns, was Service für Menschen mit Behinderungen betrifft, nicht zu verstecken. Natürlich wird uns auch immer wieder bescheinigt, wie hervorragend unser ÖPNV ist und das wir über moderne barrierefreie Hotels verfügen, aber Verbesserungen im Detail sind nötig.
BBZ: Stimmt. Ich denke da zum Beispiel an die rund 7600 Taxis in Berlin, von denen keine 20 barrierefrei sind.
Gerhard Buchholz: Wie gesagt, die Details fordern uns. Wir haben zum Beispiel einen Kooperationsvertrag mit dem Sozialverband Deutschland geschlossen, der ein mehr an barrierefreien Taxen zum Ziel hat. Aber auch Taxi Berlin und die Verbände sind dran an dem Thema. Wie so oft, steht der wirtschaftliche Aspekt des einzelnen Unternehmers dem der Partizipation für Alle gegenüber. Hier ist auch die Politik mit Vorgaben gefordert.
BBZ: Hierfür soll doch der „Runde Tisch Barrierefreie Stadt“ einen wichtigen Beitrag leisten. Wie geht es dort voran?
Gerhard Buchholz: Wenn wir uns erinnern – 2013 wurde uns der Access City Award verliehen. Dieser Preis der Europäischen Kommission war gleichermaßen Anerkennung und Verpflichtung für die Entwicklung zukünftiger Projekte! Leider scheint dies schon wieder in Vergessenheit geraten zu sein.
Um gezielt Probleme zu lösen, wurde der Runde Tisch 2012 in Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt gebildet, der unter anderem auch konkrete Projekte zur Entwicklung touristischer Angebote und deren Kommunikation steuerte. Dort gab es beispielsweise konstruktive Runden mit den Reedern, den Taxiverbänden, dem Handel und der IHK. Ziel war – und ich muss leider sagen, war – da der Tisch momentan nur noch auf dem Papier existiert, Lösungen zur Verbesserung der barrierefreien Infrastruktur zu erarbeiten.
BBZ: Warum?
Gerhard Buchholz: Es gab einen Staatssekretärswechsel und die Verantwortung zur Fortführung des Tisches ging auf Senatsbaudirektorin Regula Lüscher über. Leider scheint sie – trotz vieler intensiver Bemühungen, nicht zuletzt auch durch den Landesbeauftragten Dr. Schneider – diesem wichtigen Zukunftsthema nicht den nötigen Stellenwert einzuräumen.
BBZ: Und nun?
Gerhard Buchholz: Ganz klar: der Tisch muss fortgeführt werden. Nur mit der Autorität dieser politischen Ebene werden Verwaltungen entsprechend sensibilisiert und im Wirken beschleunigt. Denn die Schaffung von höchstmöglicher Barrierefreiheit ist ein gesamtgesellschaftliches Ziel. Tourismus für alle ist die Herausforderung, der sich auch die Berlin Tourismus Marketing & Kongress GmbH stellt und das Thema sowohl auf der politischen Ebene als auch in der Schaffung von konkreten Produkten und in der Angebotskommunikation gezielt weiterentwickeln wird.
BBZ: Wie sieht das konkret aus?
Gerhard Buchholz: Dazu fahren wir eine mehrgleisige Strategie: visitBerlin ist Lizenznehmer des DSFT/NatKo-Projektes „Entwicklung und Vermarktung barrierefreier Angebote und Dienstleistungen im Sinne eines Tourismus für alle in Deutschland“. Im Rahmen des Projektes haben bisher neun Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen eine Schulung absolviert und sind jetzt zertifizierte (Daten)-Erheber.
Bisher wurden 17 Mitgliedshotels, die Berlin Tourist Informationen, drei Reedereien und weitere touristische Leistungsträger erhoben und zertifiziert. Die Gärten der Welt und diverse Kultureinrichtungen kommen im Laufe des Jahres dazu. Wir werden konkrete Produkte in Form von sogenannten Modellrouten entwickeln, die die Gäste anhand der touristischen Servicekette komfortabel durch die Stadt führen werden. Ein barrierefreies Internetangebot und gezielte Informations- und Buchungsmöglichkeiten für die Gäste sind bereits online (Anmerkung der Redaktion: siehe http://www.visitberlin.de/de/barrierefrei). Wir wirken auch im bundesweiten Arbeitskreis der Landesmarketingorganisationen mit. Dort wird das Projekt aus den konkreten Erfahrungen in der Umsetzung vor Ort gesteuert und das DSFT beraten. In Berlin unterstützen wir beispielsweise auch die 3. Reisebörse des Pflegestützpunkts Mitte am 9. Mai im Berliner Verlag.
BBZ: Ein ehrgeiziges Unterfangen, das ja auch finanziert werden muss.
Gerhard Buchholz: Zuallererst muss klar sein: Barrierefreier Tourismus ist kein Nischenmarkt für Menschen mit eingeschränkter Mobilität. Die Entwicklung der Barrierefrei-Programme ist eine Investition in die Zukunft. Natürlich können wir das nicht allein aus unserem Budget stemmen. Ich habe große Hoffnung in die Politik. Der Runde Tisch Tourismus, der beim Regierenden Bürgermeister angesiedelt ist, könnte ein Forum sein, das uns unterstützt. Schon im Hinblick auf eventuelle Paralympische Spiele in Berlin, aber auch unabhängig davon. Eine weitere Hoffnung setze ich in die Stiftung Deutsche Klassenlotterie, bei der wir in diesem Jahr einen Antrag auf Unterstützung dazu stellen werden.
BBZ: Wir bedanken uns für das Gespräch.