Interview mit Ulf Meyer-Golling

von: Dominik Peter

P1000350Der Leiter des Berliner Integrationsamtes im BBZ-Interview: Ulf Meyer-Golling leitet seit 2005 das Berliner Integrationsamt im LAGeSo. Der 52-jährige Jurist war nach seinem Studium an der Freien Universität Berlin zunächst als freier Rechtsanwalt tätig und wechselte 1991 in die Vermögensabteilung der Senatsverwaltung für Finanzen. Er ist beratendes Mitglied des Landesbeirats für Menschen mit Behinderung in Berlin und vertritt die Interessen schwerbehinderter Menschen des Landes Berlin in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH).

BBZ: Herr Meyer-Golling, welche Aufgaben hat das Integrationsamt eigentlich?

Meyer-Golling: Das Integrationsamt ist Ansprechpartner in allen Fragen des Berufslebens schwerbehinderter Menschen. Im Einzelnen geht es um folgende Aufgaben: Die Erhebung und Verwendung der Ausgleichsabgabe, begleitende Hilfe für schwerbehinderte Menschen im Arbeitsleben sowie die Durchführung des Besonderen Kündigungsschutzes für schwerbehinderte Menschen. Zu der Kernaufgabe zählt dabei die begleitende Hilfe – Maßnahmen, die darauf ausgerichtet ist, behinderungsbedingte Nachteile auszugleichen. Zum Leistungskatalog der begleitenden Hilfe gehören unter anderem Geldleistungen an Arbeitgeber und schwerbehinderte Menschen, Beratungs- und Betreuungsleistungen, Finanzierung der Integrationsfachdienste, Förderung von Integrationsprojekten und Schulungs- und Bildungsmaßnahmen.

BBZ: Woher kommen die Gelder für diese Aufgaben?

Meyer-Golling: Private und öffentliche Arbeitgeber entrichten eine Ausgleichsabgabe, wenn sie ihrer Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht nachkommen. Das Integrationsamt nimmt diese Mittel ein. Die Einnahmen im letzten Jahr betrugen knapp 22 Mio. Euro. Die Ausgleichsabgabe darf ausschließlich für die Förderung der Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben eingesetzt werden. Ein Großteil wird für die bereits geschilderte begleitende Hilfe im Arbeitsleben aufgewendet und fließt somit in die Berliner Betriebe zurück. 20 Prozent des Aufkommens leitet das Integrationsamt an den Ausgleichsfonds beim Bundesministerium für Arbeit weiter.

BBZ: Die Ausgleichsabgabe wurde 2012 erhöht. Spült das nun mehr Geld in die Kassen des Integrationsamtes?

Meyer-Golling: Seit der genannten Erhöhung beträgt die Ausgleichsabgabe zwischen 115 und 290 Euro – je Monat und unbesetzten Pflichtarbeitsplatz. Auswirken wird sich diese jedoch erst 2014. Die Einnahmen aus der Ausgleichsabgabe 2012 sind dennoch bereits im Vergleich zum Vorjahr um mehr als eine Million Euro gestiegen. Für die Förderung der beruflichen Integration schwerbehinderter Menschen stehen uns außerdem Mittel zur Umsetzung von Landes- und Bundesprogrammen zur Verfügung.

BBZ: Im Oktober 2008 waren 160.000 schwerbehinderte Menschen bundesweit arbeitslos. Im Oktober 2012 allerdings 173.000. Laut Arbeitsagentur ist der allgemeine Beschäftigtenstand jedoch seit der Wiedervereinigung noch nie so hoch gewesen. Wieso können Schwerbehinderte von dieser Entwicklung nicht profitieren?

Meyer-Golling: Auch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen geht der Frage nach, warum entgegen der allgemein positiven Entwicklung am Arbeitsmarkt die Arbeitslosigkeit von Schwerbehinderten weiterhin hoch ist. Dabei wurde festgestellt, dass überwiegend die Gruppe der 55- bis 65-Jährigen davon betroffen ist. Eine aus demographischen Gründen älter werdende Gesellschaft, die Verlängerung der Lebensarbeitszeit und weniger Frühverrentungen haben damit sicher viel zu tun. Jedoch ist anzumerken, dass im Jahr 2012 die Arbeitslosigkeit bei den schwerbehinderten Menschen im Vergleich zum Vorjahr um etwa 2,2 Prozent zurückgegangen ist. Um die Situation grundlegend zu verbessern, bedarf es weiterer Anstrengungen aller. Die Schaffung der dafür notwendigen Voraussetzungen allein reicht nicht aus. Genau so kommt es darauf an, das Bewusstsein für die Belange schwerbehinderter Menschen zu schärfen, die Fähigkeiten von Menschen mit Behinderung zu erkennen und anzuerkennen.

BBZ: Behinderte sind oft hochqualifiziert. Laut Arbeitsagentur haben 59 Prozent der schwerbehinderten Arbeitslosen ein abgeschlossenes Studium oder eine Berufsausbildung. Bei nicht schwerbehinderten Arbeitslosen liegt die Quote bei nur 54 Prozent. Werden Schwerbehinderte vom vielzitierten Fachkräftemangel profitieren können?

Meyer-Golling: Der Fachkräftemangel trifft Unternehmen jeder Größe und sämtlicher Rechtsformen im Kern und wird seit Jahren diskutiert. Gleichzeitig finden aber viele Langzeitarbeitslose – oft mit gesundheitlichen Handicaps – nicht zurück in das Erwerbsleben. Dabei bleibt der Wirtschaft gar keine andere Wahl – sie ist längst darauf angewiesen, auf dieses Potential zurückzugreifen. Unternehmen werden sich zunehmend mit einer gezielten Suche nach schwerbehinderten Beschäftigten auseinander setzen. Die Qualifikation schwerbehinderter Arbeitsloser ist selbstverständlich von Bedeutung. Viel mehr zählt aber die Beschäftigungswilligkeit Schwerbehinderter, die oftmals stärker ausgeprägt ist, als bei nicht behinderten Arbeitslosen.

BBZ: Benötigen Schwerbehinderte Unterstützung am Arbeitsplatz, haben sie Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Arbeitsassistenz. Wieviel Geld steht dafür jährlich in Berlin zur Verfügung, wieviel Geld wird davon auch ausgezahlt und wieviele Assistenzen werden damit in Berlin gefördert?

Meyer-Golling: Seit 2000 haben schwerbehinderte Menschen einen Rechtsanspruch auf notwendige Arbeitsassistenz. Der Gesetzgeber sieht lediglich vor, dass die Assistenz ausschließlich unterstützende Tätigkeiten verrichtet, die der schwerbehinderte Mensch behinderungsbedingt selbst nicht erledigen kann. Die Kerntätigkeit leistet der Schwerbehinderte selbst. Wird die Notwendigkeit einer Assistenz festgestellt, so fördert das Integrationsamt die Assistenz.

BBZ: Wie sieht die Berliner Praxis aus?

Meyer-Golling: Die Leistung notwendiger Arbeitsassistenz wurde zunehmend nachgefragt: Waren es 2011 154 Förderfälle (1,9 Mio. Euro), so finanzierte das Integrationsamt 2012 171 Fälle (2,2 Mio. Euro). Ich nehme an, dass sich diese Tendenz fortsetzen wird.

BBZ: Auf welche Leistungen des Integrationsamts sind Sie besonders stolz?

Meyer-Golling: Wenn wir von Ergebnissen sprechen, so möchte ich die Berliner Integrationsprojekte  hervorheben. Es sind Unternehmen, die sich von anderen dadurch unterscheiden, dass sie überdurchschnittlich viele besonders betroffene schwerbehinderte Menschen beschäftigen (mindestens 25 %). Schwerbehinderte Menschen, die nur geringe Chancen haben, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine Beschäftigung zu finden, arbeiten mit Menschen ohne Behinderung zusammen. Zu diesem Personenkreis gehören sowohl Menschen mit einer geistigen oder seelischen Behinderung als auch mit einer schweren Sinnes-, Körper- oder Mehrfachbehinderung. In Integrationsprojekten werden sie ausgebildet, beschäftigt und arbeitsbegleitend betreut. 2012 förderte das LAGeSo 33 Integrationsprojekte, davon 29 Integrationsunternehmen und vier Integrationsabteilungen. Es erfüllt mich mit Freude zu wissen, dass dadurch 1.261 Menschen, davon 573 besonders betroffene schwerbehinderte Menschen, eine Chance auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erhalten haben.

BBZ: Herr Meyer-Golling, besten Dank für das Interview.

(BBZ, 2013)

 


 

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