Wer die Arminius-Markthalle in Moabit kennt, wird sie sehr interessant finden und sich gerne darin aufhalten. Mehr als 30 Stände bieten ihre Waren an, es wird Kleinkunst und Theater mit Verzehr ge-boten, Gläser werden erhoben bis spät in den Abend hinein. – Aber wer etwas trinkt, wird auch irgendwann die Toilette aufsuchen müssen. Für Menschen ohne Behinderung ist das gar kein Pro-blem, sie gehen einige Stufen hinunter und zwängen sich in die engen Kabinen mit den WC´s. Körperbehinderte Menschen können das nicht. Sie müssen, wenn sie müssen, rechtzeitig nach Hause fahren oder sich vor dem Besuch der Arminius-Markthalle Windel anlegen (lassen), denn es gibt dort KEIN barrierefreies WC.
Diesen skandalösen Zustand beklagen seit vielen Monaten nicht nur die Behindertenbeauftragte des Bezirks Mitte, Frau Knuth, sondern auch Mitglieder der BVV, der Parteien, der Seniorenvertretung, des Abgeordnetenhauses und viele Verbände und Vereine. In der Arminius-Markthalle bestehen nicht die gleichen Lebensbedingungen für Menschen mit und ohne Behinderung, es findet Ausgren-zung statt! Alle Bemühungen behördlicherseits, umfangreicher Schriftverkehr mit dem Betreiber der Markthalle, Herrn Kaufmann, um diese Diskriminierung zu beseitigen, blieben erfolglos!
Denn er muss kein Rolli-WC bauen – und darum tut er es auch nicht! Es gibt dafür keine gesetzli-che Grundlage! Er beruft sich darauf, dass 1. ihm diese Auflage bei der Übereignung 2001 (!) nicht gemacht wurde und 2. jede einzelne Lokalität (!) in der Halle weniger als 50 Plätze hat. Darum muss er auch gemäß Gaststätten-VO nichts machen. Das Bezirksamt Mitte würde ihm sogar die neue WC-Anlage bezuschussen, die Denkmalschutzbehörde würde dem Umbau zustimmen, aber sie wurde ja gar nicht gefragt! Er stellt ja keinen Antrag. Herrn Kaufmann gehört die Halle, er kann machen was er will. Die UN-BRK ist nicht einklagbar!
Wenn also Recht zu Unrecht wird, weil Barrierefreiheit rechtlich nicht herzustellen ist, unsere Grundrechte also nicht umsetzbar sind, wird Widerstand zur Pflicht! Und so fand am 27. Juni 2015 ein „Piss-In“ in der Arminius-Markthalle statt, initiiert vom Spontanzusammenschluss Mobilität für Behinderte. Es war keine (angemeldete) Demo, wir nannten es Performance, die Darstellung unserer Probleme. Wir hatten Eimerchen, Windeln, Ente, einen Wandschirm, Klo-Papier usw. dabei, aber auch Megaphon und Flugblätter. Es waren über 50 „Mitwirkende“! – Mehr, als wir uns erhofft hatten. Zeitweise war der Eingang der Markthalle fast dicht, einfach, weil wir so viele waren. – ca.10 Rollis, mehrere Rollatoren, auch Mütter mit Kinderwagen usw. – Frau Knuth, Herr Krüger (MdA), die BVV (Die Grünen), der VdK, Mitglieder des Behindertenbeirats, der SPD-Orts-gruppe Moabit, der Seniorenvertretung, des BBV und mindestens 10 Mitglieder von InterAktiv e.V. waren gekommen und unterstützten lautstark und vehement die Forderung der „Spontis“ nach einem barrierefreien WC in der Arminius-Markthalle. Es war eine gelungene Aktion! Danke hier an alle, die teilgenommen haben! – Herr Kaufmann, Leiter der Arminius-Markthalle und Hardliner, rief nach der Polizei, was wir lautstark begrüßten, weil es uns noch mehr Aufmerksamkeit brachte. Diese ging äußerst milde mit uns um als sie kam, sie war offenbar auf unserer Seite. Ich gab den Ordnungshütern ein Flugblatt in die Hand damit sie wussten, warum wir diese Aktion machten.
Und wir müssen weiter nerven! Immer wieder mit Flugblättern aufkreuzen, phantasievolle Aktionen durchführen, die Öffentlichkeit und die Medien für dieses berechtigte Anliegen gewinnen! Etwas anderes bleibt uns gar nicht übrig! Denn Menschen mit Behinderungen sind rechtlos bei privaten Investoren und Betreibern! Und davon gibt es sehr viele!
Wenn nicht endlich besitzstandsbrechende Vorschriften erlassen werden, wird Berlin nie barrierefrei werden und damit auch Teilhabe weiterhin nur eingeschränkt möglich sein!
Über die Autorin: Bärbel Reichelt ist seit Jahren Mitglied im Vorstand des Berliner Behindertenverbandes und engagiert sich seit vier Jahrezehnten in der Berliner Behindertenpolitik.
