Kann und will Berlin Olympia und Paralympics?

Senat lädt zum umfassenden Dialog ein.

von: André Nowak

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Die deutsche Mannschaft bei der Eröffnungsfeier der Paralympics in London 2012 (Foto: Dr. Ralf Otto).

 

Bevor mit dem Zünden des olympischen bzw. paralympischen Feuers die Spiele 2024 bzw. 2028 eröffnet werden, werden noch einige Jahre vergehen. Das Feuer ist aber bereits entfacht. Auch in Berlin. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat Berlin gefragt, ob sich die Stadt für die Spiele 2024 oder 2028 bewerben würden. Berlins Regierung hat sein Interesse für die Ausrichtung der Spiele bekundet und dazu fristgerecht am 31. August in einer rund 50-seitigen Broschüre die 13 Fragen des DOSB beantwortet.
Die Broschüre, so betont der Senat bildet „kein abgeschlossenes Konzept, sondern soll als Diskussionsgrundlage einen umfassenden Dialog der Stadtgesellschaft über die Gestaltung möglicher Olympischer und Paralympischer Spiele in Berlin eröffnen.“ Diese Einladung wird der Berliner Behindertenverband (BBV) – so der Beschluss des Vorstandes – über die Teilnahme an Veranstaltungen und Beratungen sowie mittels der BBZ annehmen. Von dem Verlauf der Diskussion wird auch abhängen, wie wir in dem für 2015 angekündigten Bürgerentscheid stimmen werden.
In diesem Beitrag kann nicht der Inhalt der gesamten Broschüre wiedergegeben und kommentiert werden, aber einige der Fragen und Antworten möchte ich aus der Perspektive des BBV näher betrachten. Leider kann – schon aus Platzgründen – die Hamburger Bewerbung nicht berücksichtigt werden. In den kommenden Ausgaben der BBZ werden wir auf den Verlauf der Diskussion eingehen, Sportlerinnen und Sportler sowie weitere Berliner Persönlichkeiten zu Wort kommen lassen und gern auch Sie. Dabei geht es um pro und kontra. Während die Landessportverbände, der Senat und die Regierungsfraktionen von SPD und CDU sowie weitere Verbände aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft für die Spiele in Berlin werben, sind die Abgeordnetenhausfraktionen der GRÜNEN und der PIRATEN noch beim Abwägen. Die Fraktion der LINKEN hat sich für ein klares NEIN zur Bewerbung ausgesprochen und unterstützt ein schon aktives NOlympia-Berlin Bündnis.

 

In der ersten Frage des DOSB geht es um die Gründe, warum sich Berlin für die olympischen und paralympischen Spiele bewerben will. In der Antwort verweist der Senat auf Berlin als weltoffene, gastfreundliche und sportbegeisterte Stadt, auf die Erfahrungen bei der Ausrichtung von Großveranstaltungen und auf die weitgehend barrierefreie Infrastruktur. Auch mit dem „Olympischen Erbe“ mit den Spielen von 1936 will man sich auseinandersetzten. „Teilhabe und Inklusion sind originäre Berliner Themen. Deshalb erhalten die Paralympics als integraler Bestandteil der Spiele besonderes Gewicht.“ Und – so der Vorschlag des Senats – die Paralympics könnten vor statt wie bisher (14 Tage) nach Olympia stattfinden. Dieser Vorschlag ist in ersten Reaktionen von zahlreichen Vertretern aus Behindertenorganisationen, von Sportlern und auch vom Präsidenten des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC) abgelehnt worden. Ich meine: zu Recht.

 

In der dritten Frage geht es um die Planungen für das olympische und paralympische Dorf. Der Senat schlägt als Standort dafür Teile des dann (voraussichtlich) nicht mehr benötigten Flughafens in Tegel vor. Rund 5.000 Wohnungen sollen hier von landeseigenen und privaten Wohnungsunternehmen gebaut werden. 25 Prozent davon werden „in ihrer Ausstattung den Anforderungen des IPC entsprechen.“ Nach den Spielen soll ein Teil (?) des neu entstandenen Wohnraums für ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen genutzt werden. Auch studentisches Wohnen ist geplant. Warum sollen eigentlich nur 25 Prozent der Wohnungen barrierefrei gebaut werden und damit 75 Prozent der Wohnungen mit Barrieren? Der BBV meint: es sollen dort und überall, wo neue Wohnungen in Berlin entstehen, diese zu 100 Prozent barrierefrei sein. Das ist angesichts der riesigen Nachfrage nach solchen Wohnungen erforderlich, vermeidet nachträglich teure Umbauten und entspricht Artikel 9 der UN-Behindertenrechtskonvention. Wenn alle Wohnungen barrierefrei sind, muss niemand mehr wegen einer Beeinträchtigung ausziehen und jede(r) kann jede(n) besuchen. Das gehört zur Ermöglichung „umfassender Teilhabe“!

 

In Frage vier geht es um die Sportstätten für die Spiele. Hierzu schreibt der Senat: „Berlin verfügt schon heute über eine hervorragende Sportinfrastruktur. Ein Großteil der für Olympia benötigten Wettkampf- und Trainingsstätten existiert bereits.“ Natürlich wird es auch Um- und Ausbauten, Neubauten und temporäre Bauten (welche anschließend wieder zurückgebaut werden) geben. Dafür plant der Senat rund 2 Milliarden Euro. Der BBV meint: Ob die Sportstätten in Berlin wirklich so hervorragend sind, darüber lässt sich streiten, schaut man auf den Mangel bzw. die vielen maroden, nicht barrierefreien Sport- und Schwimmhallen sowie Sportplätze für den Schul-, Vereins- und Breitensport.

 

In Frage sechs geht es um die Nachhaltigkeit und Nachnutzung. Hier stellt der Senat u.a. in Aussicht: „Das Friedrich-Ludwig-Jahn-Stadion mit zahlreichen Einrichtungen für den Breitensport und den Sport behinderter Menschen soll als innovativer Inklusionsstandort vollständig saniert und barrierefrei gestaltet werden.“
In der Antwort auf Frage 11 zum Verkehrskonzept verweist der Senat auf ein leistungsfähiges Straßennetz und einen ausgebauten überwiegend barrierefreien öffentlichen Nahverkehr. Keine Aussagen macht der Senat zu dem fehlenden Angebot an barrierefreien Taxis und Fahrgastschiffen.
In Frage 12 geht es ausschließlich um die Paralympics. „Menschen mit Behinderungen können in der deutschen Hauptstadt mit einer sehr hohen Lebensqualität arbeiten, sich bewegen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Ziel des Landes ist es, diese guten Rahmenbedingungen permanent weiter zu verbessern.“ – so der Berliner Senat. Und er verspricht, Menschen mit Behinderungen und deren Organisationen von Beginn an einzubeziehen, die Planungen zu prüfen und mitzuentwickeln. Der BBV meint, dass dieses Bild zum Teil noch weit weg vor der realen Wirklichkeit ist und auch die Zusammenarbeit zwischen der Politik und den Behindertenorganisationen noch deutlich verbesserungswürdig ist.

Ob das Parlament und der Senat von Berlin hier wirklich bereit ist, sich (im positiven Sinne) zu ändern, werden die kommenden Wochen zeigen. Ich bin gespannt, ob von der Glanzbroschüre der Lack abblättert, oder ob das Bewerbungsverfahren zu neuen Höchstleistungen im und außerhalb des Sportes in Berlin führen wird.