Zum vorgelegten Referentenentwurf eines Bundesteilhabegesetz (BTHG) vom 26. April 2016 legten unter anderem der Deutsche Behindertenrat (inklusive des Allgemeinen Behindertenverbands in Deutschland) und der Paritätische Gesamtverband sechs Kernforderungen vor. Diese geben wir auszugsweise wieder, damit Leser nachvollziehen können, was das neue Gesetz nicht umsetzt und an welchen Stellen Rückschritte zu erwarten sind.
- Wir fordern, für mehr Selbstbestimmung die Wunsch- und Wahlrechte von Menschen mit Behinderungen zu stärken und nicht einzuschränken
– Auch für Menschen mit Behinderungen gilt das Recht, selbst zu entscheiden, wo, wie und mit wem sie wohnen und leben möchten.
– Leistungen gegen den Willen der Betroffenen im Sinne von „Zwangspoolen“ nur gemeinschaftlich zu gewähren, lehnen wir daher strikt ab.
– Außerdem darf kein Druck oder finanzieller Anreiz entstehen, Menschen vorrangig in Einrichtungen zu bringen – auch nicht mittelbar, indem z. B. bestimmte Angebote nicht zur Verfügung stehen oder nicht finanziert werden.
- Das neue Gesetz stärkt die Wunsch- und Wahlrechte nicht, sondern schreibt defizitäre Regelungen der Sozialhilfe fort. Beim Wohnen, insbesondere in der eigenen Wohnung, darf es keine Verschlechterungen geben.
2. Wir fordern, Einkommen und Vermögen nicht mehr heranzuziehen
– Behinderung darf nicht arm machen. Auch bei im Laufe des Lebens erworbenen Behinderungen dürfen die Menschen nicht zu einem Leben in Armut gezwungen werden, wenn sie wegen ihrer Behinderung Leistungen zur Unterstützung bekommen, insbesondere Eingliederungshilfe, Hilfe zur Pflege und Blindenhilfe. Deshalb fordern wir im Sinne eines Nachteilsausgleichs den Verzicht auf die Einkommens- und Vermögensheranziehung.
– Die aktuelle Regelung, wonach Familien/Ehepartner mit ihrem Einkommen mit herangezogen werden, muss aufgehoben werden.
– Menschen mit Behinderungen, die in Einrichtungen gemeinschaftlich leben, muss weiterhin ein Geldbetrag zur persönlichen Verfügung verbleiben.
3. Wir sagen NEIN zu Leistungskürzungen und -einschränkungen
– Das BTHG muss Leistungen verbessern und darf nicht Personenkreise ausschließen oder Leistungen einschränken.
- Viele bisher Anspruchsberechtigte drohen aus dem System zu fallen, wenn künftig ein umfassender Unterstützungsbedarf in 5 von 9 Lebensbereichen bestehen muss.
- Es drohen Einschränkungen bei der Teilhabe in Bereichen wie Freizeit, Kultur und Ehrenamt, bei gesundheitsbezogenen Teilhabeleistungen, Hilfsmittelversorgung, bei Bildung und Mobilität. Dazu darf es nicht kommen.
4. Wir fordern ein Verfahrensrecht, das Leistungen zügig, abgestimmt und wie aus einer Hand für Betroffene ermöglicht und nicht hinter erreichte SGB IX-Gesetzesstandards zurückfällt
– Der Zugang zu Leistungen der Rehabilitation und Teilhabe muss für alle Menschen in allen Lebenslagen ermöglicht werden. Daran müssen alle Rehabilitationsträger abgestimmt mitwirken. Die Eingliederungshilfe muss sich hier einpassen und denselben Verfahrensregelungen folgen. Die durch das SGB IX bereits erzielten Fortschritte sind zu bewahren und auszubauen.
- Zugang, Umfang und Inhalt der Teilhabeleistungen sind für alle Rehabilitationsträger auf einheitlich hohem qualitativen Niveau zu garantieren.
5. Wir fordern mehr Teilhabe- und Wahlmöglichkeiten im Arbeitsleben
– Damit mehr schwerbehinderte Menschen auf dem Arbeitsmarkt Beschäftigungschancen erhalten, muss die Ausgleichsabgabe für Unternehmen, die trotz Gesetzespflicht keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen, deutlich angehoben werden. 320 Euro im Monat setzen hier zu wenig.
6. Wir fordern, Betroffenenrechte nicht indirekt, z. B. über schlechte finanzielle und vertragliche Rahmenbedingungen für Anbieter, zu beschneiden.
– Die geplante Trennung von existenzsichernden Leistungen und Teilhabeleistungen darf nicht zu Leistungslücken zulasten der behinderten Menschen führen. Kosten der Unterkunft und des Lebensunterhalts sind weiter umfassend zu finanzieren.
Menschen mit Behinderungen haben ein Recht auf Teilhabe. Dieses Recht gilt bundesweit für alle behinderten Menschen. Notwendige Unterstützungsleistungen müssen bundesweit einheitlich gemäß Grundgesetz gewährleistet sein, um einheitliche Lebensverhältnisse zu sichern. Es darf nicht vom Bundesland abhängen, ob und wie Leistungen gewährt werden. Eine Regionalisierung der Eingliederungshilfe ist strikt abzulehnen. Kritisch sind Öffnungsklauseln, mit denen ein Bundesland einzelne Leistungen oder auch Zugang, Umfang und Qualität reduzieren könnte.