Menschen ohne Gesicht

von: Rainer Sanner

panel_DixSkatPlayers-789x1024

„Die Skatspieler“ von Otto Dix, Quelle: Neue Nationalgalerie

Ein Krieg und seine Folgen: In diesem Jahr jährt sich der Beginn des Ersten Weltkriegs zum einhundertsten Mal. Zu den Folgen dieses ersten industrialisierten Krieges zählte auch, dass allein auf deutscher Seite etwa 1,5 Millionen Kriegsversehrte von den Schlachtfeldern, aus den Schützengräben zurückkehrten, arm- oder beinamputierte oder erblindete Soldaten, Soldaten mit von Granatsplittern zerfetztem Gesicht und andere. Diese Heimkehrer wurden, an die Orte ihrer Herkunft zurückgekehrt, jetzt von vielen entsetzten Blicken verfolgt, fanden oft keinen Platz mehr in der Öffentlichkeit, lebten abgeschieden, isoliert von der Gesellschaft, ohne Arbeit und Achtung. Manche Schriftsteller wie Leonard Frank haben von diesen Unglücklichen erzählt, ein Maler wie Otto Dix hat in diesen „Menschen ohne Gesicht“ die Schrecken des Krieges gespiegelt.

Im Jahre 1994 wurde eins seiner Gemälde mit dem Titel „Die Skatspieler“ von Ursus Dix, dem Sohn des Malers, zum Kauf angeboten. Auf der Grundlage einer damals vom Verein der Freunde der Nationalgalerie organisierten großen Spendenaktion konnte dieses Gemälde für die Berliner Nationalgalerie gesichert, also erworben werden.
Diese Karten spielenden Kriegsversehrten hatte Otto Dix offenbar im Hinterzimmer eines Dresdner Kaffeehauses gesehen. Mit seinem Bild inszenierte er sie zu einem grotesken Schreckensszenario: ein blinder, schwerhöriger Unteroffizier, ein Hauptmann vom Typ Haudegen mit erotischen Phantasien unter der Schädeldcke, und ein knabenhafter Leutnant, alle drei mit unzähligen Prothesen, technischen Hilfsmitteln, künstlichen Unterkiefern und anderem schrecklich Sarkastischem. Diese Dixschen Skatspieler erscheinen wie mechanisch zusammengesetzte Marionetten, symbolisieren so diese bis dahin unbekannten Verwüstungen an der Unversehrtheit und Würde des Menschen.
Hinter dieser obskuren Herrenrunde ragt ein Fächer mit eingeklebten Tageszeitungen empor, mit dem „Dresdner Anzeiger“, den „Dresdner Neuesten Nachrichten“ und dem „Berliner Tagblatt“. Vor dem Hintergrund der düsteren Zeitumstände überdauert der verbissene Überlebenswille dieser Skatspieler hier in einer grotesken Form.

Entstehung der „Abteilung für Gesichtsplastik“ an der Berliner Charité

Von den insgesamt 2,7 Millionen psychisch und physisch verwundeten deutschen Soldaten erlitten mehr als 300.000 Soldaten Verwundungen am Kopf, zumeist verursacht durch Gewehrschüsse und Artilleriegeschosse. Obwohl diese Gesichtsverletzten nur 11 Prozent aller Verletzten ausmachten, forderten ihre Wunden und Verletzungen den Staat, das Militär und die Medizin weit mehr heraus als all die anderen Kriegsversehrten. Denn diese Männer boten einen Anblick, den man bis dahin kaum für möglich gehalten hatte; Alfred Döblin hat ihn als eine „Mondlandschaft des Todes“ bezeichnet. Da die Anzahl der so Verletzten und das Ausmaß ihrer Verwundungen alle Erwartungen weit übertroffen hatten, wurde am 20. Juni 1916 eine „Abteilung für Gesichtsplastik“ in der Berliner Charité eingerichtet, die bis zum 1. Januar 1922 von Joseph Jacques (1865 – 1934) geleitet wurde.So entstand damals dort auf dem Hintergrund des Kriegsgrauens das, was heute mit dem Namen „Schönheitschirurgie“ an ganz andere menschliche Ambitionen denken lässt.

vJoseph Jacques übernahm im Juni 1916 die Leitung dieser Abteilung. Bis zm Juli 1917 hatte er dort, wie aus dem Geschäftsbericht hervorgeht, bereits 210 plastische Operationen an 67 Patienten vorgenommen. Keiner der dort entlassenen Soldaten wurde zurück an die Front geschickt, da ihre Gesichter derart zersört waren, dass sie ohne weitere ambulante Behandlungen nicht auskamen. Und keiner der behandelten Soldaten kam direkt von der Front. Alle waren bereits, aber ohne Erfolg in Militärkrankenhäusern operiert worden. Bei diesen Operationen ging es in keinem Fall um das Überleben der Soldaten; in der Charité ging es allein um die Lebensqualität dieser Männer, die eben nicht nur an ihren Verletzungen, sondern im Zusammenhang damit auch an psychischen Depressionen litten. Mit seiner Dokumentation „Krieg dem Kriege!“ hat Ernst Friedrich einige dieser „Menschen ohne Gesicht“ bekannt gemacht.