Menschenrechte in Deutschland

von: Ilja Seifert


In Deutschland gelten – sollte man meinen – die Menschenrechte. Und den Behinderten geht es gut. Auf diese schlichten Aussagen läßt sich die Grundeinstellung der Bundesregierung reduzieren. Bestenfalls gäbe es an der einen oder anderen (Neben)Stelle noch geringfügigen Verbesserungsbedarf. So war die Grundaussage einer „Denkschrift“, die dem Ratifizierungsbeschluß des Bundestages für die UN-Behindertenrechtskonvention beilag. Und sie prägt nicht nur den – nach endlosen „Einbeziehungs“-Debatten aufgestellten – Nationalen Aktionsplan, sondern auch den ersten Staatenbericht, der pflichtgemäß zwei Jahre nach in-Kraft-Treten vorgelegt werden mußte.
Ende März nun bewertete der UN-Fachausschuß in Genf die realen Teilhabemöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen in Deutschland und insbesondere deren Verbesserung durch die Konvention. Dabei stützte er sich – neben dem Regierungsbericht – auch auf zwei Parallelberichte (auch „Schattenbericht“ genannt): Einen erarbeitete die Zivilgesellschaft in Form der BRK-Allianz selbst. Den zweiten legte die Monitoringstelle des Deutschen Menschenrechts-Instituts vor.
Und siehe da: Der Fachausschuß sieht – so, wie wir Betroffene, z.B. im ABiD – erheblichen Handlungsbedarf: Weder paßt unser tiefgestaffeltes (Aus)Sonderschul-System in eine inklusive Gesellschaft noch gibt es akzeptable Gründe für den Ausschluß vom Wahlrecht. Überhaupt wird unser Betreuungsrecht kritisch gesehen, da es in der Praxis eben doch den Betreuern die Entscheidungsbefugnis gibt, anstatt den Betreuten bei ihrer eigenen Entscheidungsfindung helfend zu assistieren. Auch der „Kostenzwang“, der zu unfreiwilligen Heimeinweisungen führt, ist mit der Behindertenrechtskonvention unvereinbar.
Die Regierungs-Delegation, die in Genf ihre Position verteidigte, kam „ganz schön ins Schwitzen“. Das ist gut. Jetzt aber werden Schlußfolgerungen fällig! Und konkrete, weitgreifende Schritte.

Ein Teilhabegesetz des Bundes, das frei ist von entwürdigender Sozialhilfe-Logik. Also einkommens- und vermögens u n abhängig behinderungsbedingte Nachteile stigmatisierungs- und diskriminierungsfrei ausgleicht.
Schrittweise Schaffung umfassender Barrierrefreiheit. Konsequente Verhinderung neuer Barrieren und systematische Beseitigung bestehender.
Die Einführung des Konzepts der „angemessenen Vorkehrungen“, um individuelle (Übergangs)Lösungen zu ermöglichen.
Die Orientierung aller gesetzgeberischen und Verwaltungsmaßnahmen an den Bedürfnissen derjenigen (schwerstmehrfachbeeinträchtigten) Menschen, deren Teilhabemöglichkeiten bisher – durch überbordende Institutionalisierung, durch Ignoranz und durch überhebliche Ausgrenzung – stark eingeschränkt blieb.

Weltweit – also auch in Deutschland – sollen alle Menschen gleiche Rechte haben und in die Lage versetzt werden, sie selbstbestimmt zu nutzen!