Museumsführung für Demenzkranke

von: Berliner Behindertenzeitung

old-peoples-home-63617 Kunst und Demenz. Andernorts gibt es schon länger Projekte, die zu Kunstgesprächen mit Demenzkranken und ihren Angehörigen anregen. Ursprünglich kommt diese Idee wohl aus New York. Inzwischen stand sie Pate für ähnliche Veranstaltungen in ganz Deutschland. In Bremer Museen finden beispielsweise schon seit einigen Jahren Projekte für demenziell erkrankte Menschen und ihre Angehörigen statt. In der Auseinandersetzung mit Gemälden kann so manche und so mancher seine Erinnerung wieder finden. Beim Gespräch über die Personen auf dem jeweiligen Gemälde, über Tiere dort, über die Landschaften, über sichtbare Alltagsgegenstände können Geschichten gesponnen und damit vielleicht auch Erinnerungen und Gefühle geweckt, kann schon vergessenes Wissen wieder aktiviert werden. Und gerade der regionale Bezug der zu sehenden Bilder, bekannte Landschaften oder vertraute Themen können dabei Bedeutung haben.

Intensive Kunst

Den Teilnehmern der Führung durch die Berliner Gemäldegalerie wurden drei ganz besondere Meisterwerke intensiv nähergebracht. Das erste war das von Thomas Gainsborough (1727 – 1788) gemalte Bild „Die Marsham-Kinder“. Auf ihm sind drei Kinder in einer ganz besonderen Konstellation zu sehen, in ganz besonderen Rollen, ein Kind auch in einem ganz besonderen Verhältnis zu einem Haustier. Besonders ansprechend war hier wohl, dass Gainsborough auch auf diesem Bild das Feinfühlige der Darstellung einer gekünstelten, starren Repräsentation vorzog. Diese Einfühlsamkeit, die auf vielen Bildern Gainsboroughs besonders in den sentimentalen Darstellungen von armen Leuten vor einem idyllischen ländlichen Hintergrund deutlich wird, bietet auf diesem in der Gemäldegalerie zu sehenden Bild auch die Anregung sich gedanklich, mit gedanklicher Einfühlung den hier dargestellten adligen Kindern zu nähern.

Herausforderung zur Auseinandersetzung

Auch das Gemälde „Malle Babbe“ von Frans Hals (1580 – 1666) sprach unsere kleine Gruppe durch seine große Lebendigkeit und treffende persönliche Charakterisierung an. Das Gemälde zeigt ein Brustbildnis einer alten, lachenden Frau, die mit der rechten Hand den Griff eines Bierkruges hält. Auf ihrer linken Schulter sitzt eine Eule, Symbol für die Weisheit, aber auch für das Nachtleben, die Schattenseiten des Lebens. Der große, ja, übergroße Krug neben der Frau, die ihr fehlenden Zähne, sowie der dem Betrachter zugewandte Blick der Eule forderten zu Stellungnahmen, zu Bemerkungen, zu Beurteilungen geradezu heraus. Auch die Malweise, die kurzen, kräftigen, sehr lebendig wirkenden Pinselstriche, anstelle von feiner Ausführung der Details, kann dazu wohl gut beitragen.

Kunst weckt Erinnerung

Die zwei auf einer Fensterbank angeketteten Affen auf dem Gemälde „Zwei Affen“ von Pieter Brueghel d. Ä. (1525/30 – 1569) sind demgegenüber sehr genau und detailgerecht gemalt. Der sonst für seine Darstellungen bäuerlichen Lebens im Flandern seiner Zeit bekannte Maler hat auf diesem Gemälde die aus  der Gefangenschaft entspringende Freiheitssehnsucht dargestellt. Die im Hintergrund, dem Ausblick aus dem Kerkerfenster sichtbare, aber nicht so genau erkennbare Landschaft enthält eine Küstenlandschaft am Meer, zeigt den blauen Himmel mit Vögeln Licht und anderen Symbolen der Freiheit.
Drei Bilder mit vielen Anregungen, nur drei Gemälde aus der großen Sammlung der Berliner Gemäldegalerie, wo sicher über Kunst noch ganz viele, ganz andere Erinnerungen geweckt, und viele andere Anregungen gegeben werden können.

Von Rainer Sanner