„Vielen Dank für Nichts“

von: Berliner Behindertenzeitung

vdfn_WEB_gross KopieNeuer Kinofilm: Nach einem Snowboardunfall an den Rollstuhl gefesselt zu sein, ist schon schlimm genug, aber zur Teilnahme an einem Behinderten-Theaterprojekt gezwungen zu werden… unvorstellbar für Valentin! Da gibt es nur einen Hoffnungsschimmer die schöne Pflegerin Mira. Aber es gibt auch ein Problem: Mira ist mit dem Schleimer Marc liiert. Aus Frustration über sich und die Welt beschließt Valentin, die Tankstelle zu überfallen, an der Marc arbeitet. Voller Begeisterung bieten sich Lukas und Titus, seine beiden behinderten Mitbewohner, als Komplizen an… das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft und eines Abenteuers mit höchst ungewissem Ausgang. Aber echte Freunde ziehen so ein Ding gemeinsam durch.

Das Leben ist nicht fair. Vor allem nicht für Valentin. Nach einem Snowboard-Unfall sitzt er im Rollstuhl, und als wäre das nicht genug, zwingt ihn seine Mutter zur Teilnahme an einem Theaterprojekt für Behinderte. In der Pflegeeinrichtung in Südtirol nerven Valentin nicht nur die überengagierte Sozialarbeiterin Katja, sondern auch sein Zimmer inklusive Windeln und Mitbewohner, dem ebenfalls an den Rollstuhl gefesselten „Vollspasten“ Titus – und auf Theater hat er sowieso gar keinen Bock. Auch für das restliche Leben im Heim hat Valentin nicht viel übrig und zeigt das ungeniert. Weder der italienische Regisseur Antonio, noch die Mitbewohner finden Zugang zu ihm. Erst als die schöne Pflegerin Mira auftaucht, scheint nicht mehr alles elend zu sein. Stück für Stück entdeckt Valentin, dass seine Mitbewohner zwar behindert, aber keineswegs bescheuert sind. Er freundet sich mit Lukas an, der ebenso im Rollstuhl sitzt und nur über einen Computer in ganzen Sätzen sprechen kann. Auch Valentins Beziehung zu Mira wird immer „hoffnungsvoller“. Als er jedoch erfährt, dass sie einen Freund hat, scheint alles aussichtslos. Zudem ist der BWL-Student Marc Miras Freund – ein ziemlicher „Schleimbeutel“. Für Valentin ist die Sache klar: Die Tankstelle, an der Marc arbeitet, muss überfallen werden!

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Das Trio unterwegs in der Stadt; © Alle Bilder Camino Filmverleih

Titus und Lukas bieten sich euphorisch als Komplizen an. Die drei Gangster versuchen, sich erst ein Gewehr, dann eine Pistole zu besorgen, was gegen alle Erwartungen sogar gelingt. Als Titus nach einem Zwischenfall aber kalte Füsse bekommt, beschließen Valentin und Lukas, das „krasse Ding“ allein durchzuziehen. Bewaffnet mit einer Spielzeugpistole kommt es zum Showdown zwischen den Zapfsäulen. Ohne großen Widerstand lässt sich Schleimer Marc von den beiden Rollstuhlfahrern ausnehmen. Als Valentin und Lukas nach dem Überfall vor Gericht sitzen, ist es weniger spannend, welche Strafe die beiden aufgebrummt bekommen, sondern ob Lukas mündig gesprochen wird oder nicht. Und wenn zu guter Letzt ein behinderter Hamlet aufgeführt wird, bleibt die Frage: Sein oder Nichtsein?

Das Regie-Duo

Das Regie-Duo Hillebrand / Paulus darf seit seinen vielfach preisgekrönten Filmen „Die Wurstverkäuferin“ und „Wenn der Richtige kommt“ durchaus als so etwas wie ein öffentlicher Geheimtipp bezeichnet werden. „Vielen Dank für Nichts“ ist mittlerweile der vierte Spielfilm, der in Co-Regie entstanden ist und der wiederum den wundervollen und herrlich verschrobenen Stil der beiden Filmemacher auf die Leinwand bringt und wie gehabt richten sie ihr Augenmerk darauf, die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwinden zu lassen. In ihrer neuen Komödie balancieren die beiden Regisseure die irrsinnigsten Einfälle und die schmerzliche Tragik eines erschütternden Schicksals meisterhaft aus, schonungslos, aber ohne dabei jemals ihre Figuren zu verraten.

Underdogs – Directors’ Note

Es war nicht unser Anliegen einen „BehindertenFilm“ zu drehen. Die Entwicklung unserer Hauptfigur Valentin und der Umgang mit seinem einschneidenden, lebensverändernden Schicksalsschlag standen immer im Mittelpunkt unserer Arbeit. Und wie in fast allen unseren Filmen weist die Geschichte deutliche Züge eines klassischen Underdog-Plots auf. In diesem Kontext würden wir auch den stigmatisierenden Stempel „BehindertenFilm“ gelten lassen, aber nur in diesem Kontext!

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Tankstellenüberfall.

Raus aus der Opferrolle!

Unsere Underdogs sind in der Regel nicht bereit, die ihnen bewusst oder unbewusst auferlegten Grenzen unserer Gesellschaft zu akzeptieren. Im Falle von Valentin, Lukas und Titus, den Helden von VIELEN DANK FÜR NICHTS, bedeutet dies, die gesellschaftliche Einordnung „Opfer“ nicht gelten zu lassen und in der logischen Konsequenz selbst zum Täter zu werden. Um unsere Zuschauer mit auf diese Reise zu nehmen, haben wir immer wieder versucht „menschliche Zwischenräume“ in unserem Film zu kreieren, um Brücken zu bauen und eine Identifikation mit unseren behinderten Helden zu schaffen Helden, die zum Teil nur mit Sprachcomputern und einer individuellen Lautsprache kommunizieren können und deren Spastik sie einfach „anders“ aussehen lässt.

Es scheint, dass in unserer Gesellschaft zwei Geschwindigkeiten existieren. Ein Teil der Gesellschaft läuft sehr schnell, ein anderer Teil, der langsamer ist, bleibt zurück. Wir sind der Ansicht, dass die Gesellschaft dieses „Problem“ nicht auf die sozialen Einrichtungen abschieben darf. Es scheint die Fähigkeit (oder die Bereitschaft) zu fehlen, mit anderen Menschen und ihren Verschiedenheiten zusammenzuwirken, verschieden Lebensweisen und „Lebensgeschwindigkeiten“ zu akzeptieren. Für uns stellt dies also kein soziales Problem dar, sondern es ist eine Frage der Kultur. Mit all diesen Erfahrungen im Gepäck war es uns aber dennoch sehr wichtig, keinen moralischen oder moralisierenden Film zu machen, sondern Humor sollte im Mittelpunkt stehen. Ob uns das gelungen ist, mögen die Zuschauer entscheiden. Die Zusammenarbeit mit allen Beteiligten dieses Filmprojekts war aber in jedem Fall eine große Freude und Bereicherung.

And the winner is… der Behinderte!

Einige der größten Schauspieler der Geschichte haben bereits einen Oscar für die Darstellung einer Behinderung erhalten: Tom Hanks war der liebenswürdige Idiot Forrest Gump (1994), Dustin Hoffmann der geniale Autist Raymond (RAIN MAN, 1989), Daniel Day-Lewis gab mit höchster Akrobatik den Gelähmten Christy Brown (MY LEFT FOOT, 1990), Colin Firth den stotternden King Georg VI. (THE KING’S SPEECH, 2010), und im April 2011 wurde Florian David Fitz für seine Darstellung als liebenswerter Freak mit Tourette-Syndrom (VINCENT WILL MEER, 2010) mit dem deutschen Filmpreis ausgezeichnet die virtuose Darstellung menschlicher Defizienz als sicheres Ticket zum (Academy) Award.

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Anna Unterberger als Mira mit Antonio Viganó als Antonio.

«Es liegt allerdings eine gewisse Ironie darin, das eingeschränkte Leben als Gelegenheit zur Leistungsschau zu benutzen, um ein Feuerwerk schauspielerischer Ausdruckskraft abzubrennen. Die Kitschgefahr ist dabei immer riesengross, das Sportliche daran ist schwer zu ertragen. Merkwürdig: Unsere Gesellschaft mit ihrem Schönheits-, Jugend- und Konformitätswahn glorifiziert den Aussenseiter. (…) Der Narr, der Stotterer, der Autist – sie sind die ultimativen Misfits. Sie passen nicht in die Gesellschaft. Sie stehen für das reine Menschsein jenseits von Konventionen, Höflichkeit und Funktionieren. Weil sie nicht wie gefordert ticken, werden sie mit ihrem Tick zur Sehnsuchtsfigur für uns, die wir auch gerne mal nicht wie verlangt funktionieren wollen. Und wenn der Misfit dabei auch noch König sein kann wie Colin Firth als stotternder „Bertie“, dann ist die Quadratur des Kreises gelungen: der Freak auf dem Thron, fehlbar und mit sich ringend, wie du und ich.» (DIE ZEIT)

Im Gegensatz zu Hollywood haben wir unser Filmprojekt gemeinsam mit „echten“ Behinderten konzipiert und auch realisiert: unser Schauspielensemble setzt sich zusammen aus einer Mischung von professionellen Schauspielern und Laien-Darstellern nicht zuletzt, um die oben erwähnte Klischee- und Kitschgefahr weiträumig zu umschiffen.

Von Oliver Paulus & Stefan Hillebrand