Einmal im Jahr trifft sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Vertretern der Behindertenbewegung, diesmal auf dem Jahresempfang der Bundesbehindertenbeauftragten Verena Bentele am 6. Mai 2015 in der Landesvertretung Baden-Württemberg. Statt „Bürgerdialog“ gab es vor rund 400 Gästen ein Kanzlerinnen-Grußwort, Beifall, Fotos mit Ihrer Beauftragten und Bundesministerin Nahles und ein anschließender netter Abend mit vielen Gesprächen ohne Kanzlerin.
Immerhin: Verena Bentele sprach in Gegenwart von Frau Merkel Klartext: „Die Erarbeitung des Bundesteilhabegesetzes ist die wichtigste Reform in der Sozialpolitik in dieser Legislatur… Ich möchte zwei Anliegen platzieren. Erstens muss Menschen mit Behinderung die Assistenz, d.h. die persönliche Unterstützung bedarfsdeckend und bundeseinheitlich ermöglicht werden und zwar vom Kindergarten bis zum Job… Zweitens: Wir brauchen den Wegfall der Einkommens- und Vermögensgrenze mindestens bei personenzentrierten Fachleistungen, denn es kann nicht sein, dass Menschen mit Behinderung über kein höheres Vermögen als 2600 Euro verfügen dürfen und ihre Partner gar nicht mehr als 614 Euro. Wohlgemerkt Vermögen – nicht Einkommen! Es ist nicht akzeptabel, dass es für manche Menschen, die einen Partner oder eine Partnerin mit Behinderung lieben, gleichsam bedeutet, in Armut zu leben.
Merkel nimmt die Lupe
Die Kanzlerin stellte in den Mittelpunkt ihres Grußwortes die Inklusion: „Es ist sehr wichtig, dass wir vor allen Dingen die Ratschläge und Erfahrungen von denen aufnehmen, die direkt betroffen sind. Deshalb ist die Forderung „Nichts über uns – ohne uns!“ mehr als berechtigt.
Menschen mit Behinderungen sind aber allzu oft eher außen vor. Dass sie in Heimen für Behinderte wohnen, dass sie in Sonderschulen sind, dass sie in Werkstätten arbeiten – das ist sicherlich an vielen Stellen notwendig. Aber wenn das der ausschließliche Weg ist, dann ist es kein guter Weg. Wir sind vielmehr gefordert, überall, wo es nur möglich ist, geschützte Räume zu öffnen, sodass alle Teile des Lebens möglichst weit miteinander geteilt werden können.
Inklusion kann nicht nur von oben verordnet werden, sondern es müssen Beispiele geschaffen werden. Dabei ist es natürlich ganz wichtig, dass alle – die Bundesregierung mit eingeschlossen – dabei mitmachen. Frau Bentele hat hierbei die Unterstützung der Ministerin, sie hat die Unterstützung aus dem Parlament und sie hat selbstverständlich – das kann ich nicht für jeden Einzelfall, aber im Grundsatz zusagen – auch die Unterstützung der Bundeskanzlerin…
Bei dem Thema Eingliederungshilfe … müssen wir die Einkommens- und Vermögensanrechnung unter die Lupe nehmen. Ich finde, da besteht Handlungsbedarf. Ich verstehe, dass Frau Bentele hierbei eine klare und harte Forderung stellt… Nun machen wir uns keine Illusion – die Ausarbeitung des Bundesteilhabegesetzes ist sehr komplex. Wir haben auch durchaus sehr unterschiedliche Gegebenheiten in den einzelnen Bundesländern – und dazu noch unterschiedliche Zuständigkeiten.“ (Die vollständigen Reden stehen auf der Internetseite der Bundesbehindertenbeauftragten).
Verena Bentele konstatierte danach: „Das Bundesteilhabegesetz … wird der Prüfstein sein, an dem sich zeigt, wie ernsthaft Inklusion in unserer Gesellschaft tatsächlich umgesetzt wird. Den Worten der Kanzlerin müssen deswegen nun dringend Taten folgen. Ich fordere ihren vollen Einsatz für ein Bundesteilhabegesetz, das den Namen auch wirklich verdient. Und sage auch ganz klar: Ohne die Abschaffung der Einkommens- und Vermögensanrechnung wird das nicht gehen.“
Schade war, dass der Sprecher des Deutschen Behindertenrates, Dr. Ilja Seifert, trotz vorheriger Anfrage nicht die Möglichkeit erhielt, als Vertreter der Behindertenverbände auf dem Empfang einige Worte an Frau Merkel und die anderen Gäste zu richten. Das Motto: „Nichts über uns ohne uns!“ gilt eben nicht überall.
Gesundheitsversorgung für Behinderte
Die Gesundheitsversorgung Behinderter muss nach Ansicht von Fachleuten besser auf die Bedürfnisse der Betroffenen ausgerichtet werden. So seien viele Arzt- und Zahnarztpraxen nicht barrierefrei. Die Behinderten scheiterten dort nicht nur an baulichen Unzulänglichkeiten, sondern oft auch an den viel zu komplizierten Informationen, erklärten Sachverständige anlässlich einer Anhörung des Gesundheitsausschusses des Bundestages über einen Antrag (18/3155) der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Ein „Wünsch-Dir-was-Antrag“
Mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD wurde am 25. März im Bauausschuss des Bundestages der Antrag der Fraktion DIE LINKE „Programm zur Beseitigung von Barrieren auflegen“ (Drucksache 18/972) abgelehnt. Mit dem Antrag sollte die Bundesregierung u.a. aufgefordert werden, ein Sofortprogramm zur Beseitigung bestehender baulicher und kommunikativer Barrieren von jährlich 1 Milliarde Euro für einen Zeitraum von fünf Jahren aufzulegen.
In dem Ausschussbericht heißt es: „Die Fraktion der CDU/CSU konstatierte noch große Aufgaben, die noch zu lösen seien. Es handele sich um einen typischen Oppositionsantrag, der ein Ziel formuliere, bei dem bereits Einigkeit bestehe und verknüpfe dieses mit der Forderung nach mehr Geld. … Als Vorstufe zur Barrierefreiheit sei es schon wichtig, erst einmal eine Barrierearmut zu erreichen. Die Fraktion der SPD erklärte, der Antrag der Fraktion DIE LINKE sei wieder ein „Wünsch-Dir-was-Antrag“. Zwar sei das formulierte Ziel richtig, die Barrierefreiheit auf allen Ebenen anzustreben. Umsetzung in die Realität sei aber eben eine andere.“
Bundestag für Gehörlose
Der Deutsche Bundestag wird künftig Plenardebatten in der sogenannten Kernzeit sowie Sonderveranstaltungen wie zum Beispiel Gedenkstunden in Gebärdensprache und mit Untertiteln im Internet übertragen. Das hat das Präsidium des Deutschen Bundestages beschlossen. Mit dem neuen Service, der bei den Übertragungen im Internet genutzt werden kann, soll probeweise noch in diesem Jahr begonnen werden. Die Debatten werden live übertragen und auch zum späteren Abruf in der Internet-Mediathek des Bundestages bereitgestellt.
Neues aus der Landespolitik in Kürze
In seiner Antwort auf eine Anfrage des Abgeordnete Alexander Spieß (Piraten) „Unterstützungsleistungen für ehemalige Heimkinder mit Behinderungen“ teilte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) die Auffassung, dass die betroffenen zeitnah eine Entschädigung erhalten müssen. Was er dafür tun wird, blieb aber sein Geheimnis (Drs. 17/16087).
Erst nach der Grunderneuerung des Bahnhofs Ostkreuz kann die Schaffung der Barrierefreiheit am Bahnhof Nöldnerplatz in Angriff genommen werden, erfuhr der Abgeordnete Ole Kreins (SPD) auf seine Anfrage von Staatssekretär Gaebler (Drs. 17/15247). Es wird also noch einige Jahre dauern.
In den Verkehrsausschuss wurde der Antrag der Piratenfraktion „Fernbusverkehr zukunftsfähig gestalten“ (Drs. 17/2212) am 23. April vom Abgeordnetenhaus überwiesen. Ebenso der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen „Barrierefreie Taxis in Berlin etablieren“ in der Plenarsitzung am 7. Mai (Drs. 17/2224.
Gerade mal 4 Aufträge mit einem Gesamtwert von 6.422,43 Euro hatte die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen an Werkstätten für behinderte Menschen vergeben, erfuhr der Abgeordnete Martin Delius (Piraten) durch seine Anfrage (Drs. 17/15841). Auch in den anderen Jahren sieht die Bilanz nicht viel besser aus.
Der Senat hat am 19. Mai dem 17. Rundfunkänderungsstaatsvertrag zugestimmt. Dabei geht es vor allem um eine veränderte Zusammensetzung der Aufsichtsgremien des ZDF. Immerhin: Im Unterschied zum Rundfunkrat des rbb soll, wenn das Gesetz am 1. Januar 2016 in Kraft tritt, auch ein Vertreter aus dem Bereich „Menschen mit Behinderungen“ aus dem Land Rheinland-Pfalz einen Platz bekommen.
Abgeordnetenhaus live erleben
Die Plenarsitzungen im Berliner Abgeordnetenhaus sind öffentlich. Für die Platzreservierung werden Rollstuhlfahrer gebeten, sich bei Interesse telefonisch an den Besucherdienst, Tel.: 2325 1064, zu wenden. Anmeldungen für den Besuch von Plenarsitzungen können mittels Formular auch über das Internet (www.berlin.de) bis zum Tag vor der Sitzung (bis spätestens 15.00 Uhr) erfolgen. Die nächsten Sitzungen sind am 11. und 25. Juni.
Auf Forderung der Abgeordneten Elke Breitenbach stand in der öffentlichen Sitzung des Ausschusses Gesundheit und Soziales am 27. April die aktuelle Situation und Erfahrungen von Integrationsfachdiensten für Menschen mit Behinderung auf der Tagesordnung. Ein Wortprotokoll soll demnächst auf der Internetseite stehen. Die kommenden öffentlichen Sitzungen dieses Ausschusses sind am 1. und 15. Juni.
