Neues aus der Politik

Ein Universal-Dilettant redet über Inklusion

von: André Nowak

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Mit fast 500 Gästen fand am 11. Mai der Jahresempfang der Bundesbehindertenbeauftragten Verena Bentele, diesmal in der Berliner Landesvertretung Nordrhein-Westfalens statt. Gemeinsam feierten Mitstreiterinnen und Mitstreiter aus der Behindertenpolitik, den Selbstvertretungsorganisatio nen, Vereinen, der Wirtschaft und der Bundespolitik. Die bestimmenden Themen des Abends waren natürlich das Bundesteilhabegesetz und das Behindertengleichstellungsrecht – sowohl bei dem Empfang als auch bei der gleichzeitigen Ankett-Aktion am Ufer des Reichstagsgebäudes. Zu Beginn stellte die Sprecherin des deutschen Behinderten- rates Ulrike Mascher (VdK) deren Kernforderungen an die Politik vor.

Als Festredner trat Vizekanzler, Bundeswirtschaftsminister und SPD-Parteivorsitzender Sigmar Gabriel auf. In seiner Rede bezeichnete er sich selbst als „Universal-Dilettant“ und belegte seine fehlende Kompetenz auf behindertenpolitischem Gebiet auch sehr überzeugend. Es schien seine erste Rede zu diesem Thema und vor solch einem Personenkreis zu sein und er hinterließ bei vielen Teilnehmern Ratlosigkeit, Kopfschütteln und entsetzte Blicke. Nicht nur der Autor dieses Beitrages versteht jetzt etwas besser, warum Verena Bentele, gutwillige Ministerinnen und andere Spitzenpolitiker in dieser Bundesregierung nicht mehr in der Behindertenpolitik erreichen können.

Behindertengleichstellungsgesetz beschlossen

Am 12. Mai beschloss der Bundestag mit den Stimmen von CDU / CSU
und SPD gegen die Stimmen von B90/ Die Grünen bei Stimmenthaltung von den LINKEN und dem CDU-Abgeordneten Hubert Hüppe das Gesetz zur Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG). Dank verschiedener Protestaktionen von Behindertenorganisationen stand im Mittelpunkt der Diskussion der Hauptmangel dieses Gesetzes: Die Privatwirtschaft wird weiterhin nicht zur Schaffung von Barrierefreiheit verpflichtet. Dies führte dazu, dass DIE LINKE und Bündnis 90/ Die Grünen einen Entschließungs- bzw. Änderungsantrag namentlich abstimmen ließen, die von der Koalition abgelehnt wurden. Zuvor fasste Bundesministerin Andrea Nahles (SPD) ihre Arbeitsergebnisse zusammen: „Ich bin mit dem zufrieden, was erreicht worden ist – nicht, weil wir alle Wünsche und Erwartungen schon maximal umgesetzt haben, aber deswegen, weil es voran geht.“ (Die Debatte und die Bundestagsdrucksachen finden Sie unter www.berliner-behindertenzeitung.de.)

Das ist nicht mein Gesetz

So klang es vielstimmig aus den Behindertenorganisa- tionen zu dem Referentenentwurf für das Bundesteil- habegesetz (BTHG), welchen die Bundesregierung am 26. April vorlegte. Die Debatte über das BTHG wurde in der letzten BBZ ausführlich wiedergegeben und war auch im Bundestag mehrfach Diskussionsgegenstand, u.a. durch die Fragen der Abgeordneten der LINKEN, Katrin Werner, in der Fragestunde am 11. Mai.

Ende Mai kam es zur Anhörung der Verbände und der Bundesländer, danach will die Bundesregierung den Gesetzentwurf beschließen und ihn dem Bundestag zur Beratung überweisen. Ob und wann dies noch 2016 passiert, ist offen.

BRK-Aktionsplan 2.0

Rund 350 Seiten umfasst der Referentenentwurf für einen Nationalen Aktionsplan 2.0 der Bundesregierung zur der UN-Behindertenrechtskonvention. Immerhin sind diesmal alle Bundesministerien mit eigenen Aktivitäten dabei. Inwieweit die vorgeschlagenen Prüfaufträge, Maßnahmen und Vorhaben wirklich zur Verbesserung der Lebens- und Teilhabebedingungen für Menschen mit Behinderungen beitragen und auch im Geist und Buchstaben der BRK entsprechen, wird gegenwärtig u.a. in den Behindertenverbänden geprüft.

Arbeit für Menschen mit Behinderung

Am 28. April diskutierte der Bundestag auf Grundlage eines Antrages der LINKEN (DS 1805227, DS 1808118) aus dem Jahr 2015 über das Thema „Arbeit für Menschen mit Behinderung“. Mit sehr fadenscheinigen Argumenten wurde der Antrag von CDU/CSU und SPD abgelehnt.

Geschacher um Hilfen für ehemalige Heimkinder

10.000, 9.000, 5.000, 7000, 8.000 oder am Ende 8.500 Euro? So sehen laut kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul die Zahlen aus, die im mittlerweile äußerst unwürdigen Geschacher in Sachen Anerkennung und Hilfe ehemaliger Heimkinder in Behinderteneichrichtungen und Psychiatrien hin- und hergeschoben werden. Und ein Ende des Geschachers scheint immer noch nicht in Sicht, obwohl schon viele der Betroffenen mittlerweile gestorben sind. Das wurde auch bei den Fragen der Abgeordneten der Grünen, Corinna Rüffer, in der Fragestunde im Bundestag am 11. Mai deutlich.

Für die Betroffenen, die leidvolle und entwürdigende Erfahrungen als Kinder und Jugendliche in Behinderteneinrichtungen und Psychiatrien machen mussten, ist das nicht nur schwer nachzuvollziehen, sondern auch äußerst entwürdigend. Und dabei wäre es doch ganz einfach, finden viele der ehemaligen Heimkinder. Man könnte einfach die Beträge nehmen, die ehemalige Heimkinder, die Unrecht und Leid in Jugendhilfeeinrichtungen erleben mussten, als Grundlage nehmen. Doch das scheint den verschiedenen Akteuren (Bund, Länder und Kirchen) zu teuer zu sein, meint Ottmar Miles-Paul.

Bildung inklusiv

Mit einem Antrag „Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Schulen fördern“ sowie einem Antrag „Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Bildung in der beruflichen Bildung umsetzen“ möchte DIE LINKE die inklusive Bildung in Bund und Ländern voranbringen. Zu den Vorschlägen gehören ein Investitionsprogramm und die Aufhebung des grundgesetzlichen Verbots der Bildungszusammenarbeit zwischen Bund und Ländern (18084201808421).

Berliner Abgeordnetenhaus in Kürze

Gleich drei Anfragen stellte die Abgeordnete Elke Breitenbach (DIE LINKE) zur Situation von geflüchteten Menschen mit Behinderungen in Berlin. Dabei ging es um die Schwerpunkte „Wohnen“, „Versorgung“ und „Informationszugang“ (S17-18020 KopieS17-18021-2 Kopie S17-18022 Kopie). Hinsichtlich der Belange dieser Menschen gibt es nach den Antworten des Senates noch viel Unwissenheit und noch viel zu tun. Die vollständigen Antworten des Staatssekretärs Gerstle (CDU) stehen auf der Homepage der BBZ (Link).

Lesenswert auch die Anfrage der Abgeordneten Breitenbach zum Persönlichen Budget für Menschen mit Behinderung. Mit rund 200 Personen, die das Persönliche Budget in Anspruch nehmen, verharrt Berlin seit Jahren auf einem sehr niedrigen Niveau (S17-18000 Kopie).

Mit einem Antrag „Barrierefreie Wege ins ehrenamtliche Engagement ebnen“ fordert die Piratenfraktion vom Senat, die Zugänglichkeit zu ehrenamtlicher Tätigkeit zu erleichtern und Rahmenbedingungen zu schaffen, die es Menschen mit Behinderung ermöglichen, sich barrierefrei über ehrenamtliche Tätigkeiten zu informieren, Beratung in Anspruch zu nehmen und eine ehrenamtliche Tätigkeit aufzunehmen (d17-2911).

Auf der Suche nach barrierefreien Taxis

Mit den Stimmen aller Fraktionen empfiehlt der Ausschuss für Bauen, Wohnen und Verkehr zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache „Barrierefreies Taxi in Berlin etablieren“ (d17-2909), den Antrag in folgender Fassung anzunehmen: „Der Senat wird aufgefordert zu prüfen, unter welchen technischen, administrativen, finanziellen und sozialen Rahmenbedingungen eine nachhaltige Einführung von barrierefreien Taxen in Berlin entwickelt werden kann. Hierbei sind die Taxi-, Behinderten- und Sozialverbände einzubeziehen. Dem Abgeordnetenhaus ist bis zum 31. August 2016 zu berichten.“ Es wird also weiter geprüft! ?