Neues aus der Politik

„Umsetzung einer vollen und gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderung wird immer schwieriger“

von: André Nowak

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Der Landesbehindertenbeauftragte Dr. Jürgen Schneider (rechts) und Dominik Peter diskutieren die neue Berliner Bauordnung mit den Mitgliedern des Berliner Behindertenverbandes (BBV) im Rahmen der BBV-Mitgliederversammlung am 18. Juni 2016. Foto: Lutz Kaulfuß.

Mit Datum vom 1. Juni legte der Landesbehindertenbeauftragte Dr. Jürgen Schneider seinen Verstößebericht und Tätigkeitsbericht vor. Der Bericht mit seinen 100 Seiten (17/2975) erfolgt auf Grundlage des Landesgleichberechtigungsgesetzes und umfasst den Zeitraum 1. März 2013 bis 29. Februar 2016. In dem Bericht heißt es zusammenfassend: „Angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und der schwierigen Haushaltslage wir die Umsetzung einer vollen und gleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behinderung in allen Lebensbereichen aus Sicht des Landesbeauftragten aber immer schwieriger.“ Darüber und über Gegenstrategien darf – das meint auch der Berliner Behindertenverband – nicht nur im Wahlkampf diskutiert werden.

Das Land Berlin hat neue Bauordnung

In der Sitzung am 9. Juni beschloss das Abgeordnetenhaus mit den Stimmen von SPD und CDU gegen die Stimmen der LINKEN, der Grünen und der Piraten das „Dritte Gesetz zur Änderung der Bauordnung für Berlin“. Zuvor wurden die Änderungsanträge der LINKEN und der Grünen von der Koalition abgelehnt. Im Mittelpunkt der Debatte standen die von den Behindertenverbänden sehr kritisierten Fragen zur Barrierefreiheit – die BBZ hat darüber bereits mehrfach ausführlich berichtet.

Ebenfalls beschlossen wurde in namentlicher Abstimmung das „Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PSYCHKG)“ angenommen. Die Änderungsanträge von den Grünen und den Piraten wurden zuvor von SPD und CDU abgelehnt.

Ein Antrag der Piratenfraktion zur „Änderung der Verordnung über die Vorhaltung eines besonderen Fahrdienstes“ (17/2968) wurde zur weiteren Beratung in die Ausschüsse verwiesen.

Barrierefreie Wege im Ehrenamt

Auf Grundlage eines Antrages der Piratenfraktion empfiehlt der Ausschuss für Bürgerschaftliches Engagement folgenden Beschluss (17/3018): „Der Senat wird aufgefordert, in einem Bericht darzulegen, auf welche Weise Menschen mit Behinderung in Ehrenamtlichkeit eingebunden sind und dabei in ihrer täglichen Arbeit bereits Unterstützung finden.“ Da der Bericht dem Abgeordnetenhaus bis zum 31. August 2016 vorgelegt werden soll, kann man sich mit dieser Frage sicher nach den Wahlen intensiver befassen.

„Wählen mit oder ohne Barrieren am 18. September 2016“ war der Titel einer Anfrage der Abgeordneten Elke Breitenbach (DIE LINKE). In der Antwort des Staatssekretärs Bernd Krömer (17/18554) wird deutlich, dass es gegenüber vergangenen Wahlen weniger Barrieren für Menschen mit körperlichen, kognitiven und Sinnesbeeinträchtigungen geben wird, andererseits weiterhin große Unterschiede bei den baulichen Barrieren vor und in Wahllokalen zwischen den Berliner Bezirken bestehen.

Arbeitsgruppen „Menschen mit Behinderung“ bei den Senatsverwaltungen

Bereits zum zweiten Mal forderte die Abgeordnete Elke Breitenbach (DIE LINKE) Auskunft über die Arbeit der „Arbeitsgruppen (AG) Menschen mit Behinderung“ bei den Senatsverwaltungen, mit denen auch die Verpflichtung aus Artikel 4 Absatz 3 der UN-BRK zur engen Konsultation und aktiven Beteiligung in Berlin erfüllt werden soll. Während einige AG’en (Gesundheit & Soziales sowie Bauen & Verkehr) regelmäßig arbeiten und andere seit 2015 wieder aktiver wurden (Innen & Sport sowie Wirtschaft), tagten die AG’en im Bereich der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen (Senatorin Dilek Kolat, SPD) und der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz (Senator Thomas Heilmann, CDU) 2015 überhaupt nicht. Unterirdisch auch die Bilanz der Senatsverwaltung für Finanzen (Senator Dr. Matthias Kollatz-Ahnen, SPD). Diese AG wurde seit 2014 kein einziges Mal einberufen. Übrigens, der Berliner Behindertenverband hat für alle AG’en BBV-Mitglieder zur Mitarbeit benannt.

Bundestag und Bundesregierung in Kürze

Wichtige Debatten aus dem Bundestag in der sogenannten Kernzeit, Sonderveranstaltungen und weitere Infos bietet der Bundestag in Gebärdensprache in seinem Internetangebot live und und in seiner Mediathek an. Christian Pflugfelder wurde als Gebärdendolmetscher dafür vom Bundestag engagiert.

Mit einem Antrag (18/8725) fordert die Fraktion DIE LINKE, Pflege teilhabeorientiert und wohnortnah zu gestalten. Pflegemängel erwachsen auch aus kommunalen Angebotsdefiziten. Fast zwei Drittel der 12.700 ambulanten Pflegedienste waren 2013 in privater Trägerschaft, knapp ein Drittel haben freigemeinnützige Träger und nur zwei Prozent öffentliche Träger.

Zusammen mit dem Berufsbildungsbericht 2016 der Bundesregierung (18/8300) wurde auch der Antrag der LINKEN „Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Bildung in der beruflichen Bildung umsetzen“ im Bundestag am 9. Juni diskutiert und zur weiteren Beratung in die Ausschüsse überwiesen.

In einer Unterrichtung berichtete die Bundesregierung über die Auswirkungen des Conterganstiftungsgesetzes (18/8780). Unübersehbar wird hier, dass Änderungen dringend nötig sind, wie es von den Conterganinitiativen schon lange gefordert wird.

Mit Datum 14. Juni 2016 beantwortete die Bundesregierung eine Kleine Anfrage der Fraktion B90/Die Grünen „Umsetzungsstand der Medizinischen Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen“ (18/8797).

2016 stehen 500.000 Euro und ab 2017 jährlich eine Million Euro für den Partizipationsfonds nach § 19 des neuen Behindertengleichstellungsgesetzes für die Behindertenverbände zur Verfügung, erfuhr der Abgeordnete Dr. André Hahn (DIE LINKE) auf seine Anfrage von der Bundesregierung. Über eine weitere Anfrage erfuhr er, dass ARD und ZDF nur 65 Stunden über die Paralympics berichten wird, über die Olympischen Spiele dagegen 340 Stunden. Dies ist zu wenig, meint der Abgeordnete im Unterschied zur Bundesregierung.

In einer Presseerklärung kündigte Bundesverkehrsminister Dobrindt am 16. Juni ein Modernisierungsprogramm an, mit dem in den kommenden Jahren 108 kleine Bahnstationen bundesweit barrierefrei umgerüstet werden. Der Bund übernimmt dabei 80 Millionen Euro, weitere 80 Millionen kommen von den Ländern. Auch der barrierefreie Aus- und Umbau größerer Bahnhöfe in Deutschland soll vorangetrieben werden.

Gurtpflicht für Rollis kommt 2017

In einer Anfrage der Bundestagsfraktion B90/ Die Grünen geht es um die „Barrierefreiheit in Fernbussen und Personenkraftwagen“. Dabei geht es auch um die schon seit längerem geführte Diskussion um die sogenannten Kraftknoten. Die Bundesregierung verweist in ihrer Antwort (18/8634) darauf, dass die geplante Verordnung lediglich die fahrzeugseitige Rollstuhl-Rückhaltesysteme und Rollstuhlnutzer-Rückhaltesysteme regeln soll. Nachrüsten müssen also die Fahrzeughalter, aber nicht die Rollstuhlnutzer. Deswegen sind die Krankenkassen aus Sicht der Bundesregierung auch nicht verpflichtet, Rollstühle mit entsprechenden Sicherungssystemen auszustatten und zu finanzieren. Ausweichend die Antwort zur Umsetzung der Verpflichtung der Busbetreiber, Barrierefreiheit im Fernbuslinienverkehr durchzusetzen. Die Initiativen der Behindertenverbände für eine Meldestelle für barrierefreie Fernlinienbusse hält die Bundesregierung für sinnvoll, für deren Finanzierung erklärt sie sich aber für Nichtzuständig.