Öffentliche Arbeitgeber oft unwissend

von: Dominik Peter

Job

Auf dem Arbeitsmarkt haben es Behinderte besonders schwer. Das untermauern allein schon die monatlich veröffentlichten Arbeitsmarktzahlen. Anreize finanzieller Art aber auch das seit 2006 gültige Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zeigen zu wenig Wirkung. Ein exklusives BBZ-Interview mit einem schwertsbehinderten, Arbeitsplatz suchenden hochqualifizierten Hochschulabsolventen.

BBZ: Herr Tietze (*), Sie sind behindert und suchen einen Arbeitsplatz. Wie sind allgemein Ihre Erfahrungen?

Ja, ich bin querschnittsgelähmt und somit zu 100 Prozent schwerbehindert. Allgemein muss ich schon sagen, dass sich – obwohl ich einen Hochschulabschluss besitze und über entsprechende Arbeitserfahrung verfüge – die Arbeitssuche doch recht schwierig gestaltet. Sei es, dass passende Angebote recht spärlich gesät sind oder aber, dass entsprechend positive Reaktionen ausbleiben – in vielen Fällen erfolgt einfach gar keine Reaktion. Meine Suche dauert bereits fast ein Jahr. In dieser Zeit habe ich sage und schreibe zwei Einladungen zu einem Vorstellungsgespräch bekommen. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die meisten potenziellen Arbeitgeber noch immer nicht die Bereitschaft haben auch behinderte Menschen einzustellen – und das, obwohl die Arbeitsagenturen Mittel aus der Ausgleichsabgabe etwa in Form von Lohnkostenzuschüssen oder zur Finanzierung der Probearbeitszeit zur Verfügung stellen.

BBZ: Wie viele Absagen haben Sie bisher erhalten, bei denen Sie ihrer Meinung nach benachteiligt oder anders ausgedrückt, diskriminiert wurden?

Das möchte ich an dieser Stelle mal auf zweierlei Art und Weise beantworten. Auf der einen Seite, wenn es nach dem momentan geltenden Rechtsverständnis von „ungerechtfertigter Benachteiligung“ geht, so waren von meinen rund 60 Bewerbungen bisher drei diskriminierende Absagen dabei. „Gefühlt“ benachteiligt habe ich mich bei schätzungsweise zehn weiteren. „Gefühlt“ deshalb, weil ich es an keinem objektiven Einstellungskriterium festmachen konnte, so dass ich den Eindruck hatte, jedenfalls zu einem Vorstellungsgespräch geladen werden zu müssen.

BBZ: Wie sind Sie damit umgegangen und wie haben die Arbeitgeber auf Ihre Einsprüche beziehungsweise auf Ihre Briefe reagiert?

Die „gefühlten“ Diskriminierungen habe ich auf sich beruhen lassen. Zum einen, weil es mir aufgrund der unzureichenden „Beweislage“ recht aussichtslos erscheint, dagegen vorzugehen. Zum anderen sind Entscheidungen in einem Bewerbungsverfahren auch zwangsläufig immer subjektiv.
In den übrigen drei Fällen habe ich Entschädigungsansprüche nach dem AGG geltend gemacht – im Übrigen ausschließlich gegenüber öffentlichen Arbeitgebern. Die Reaktionen sind ganz unterschiedlich ausgefallen. Der eine hat meine Ansprüche sofort anerkannt, weil ihm – was er auch offen zugegeben hat – Versäumnisse unterlaufen sind. Im Weiteren wurden meine Ansprüche bestritten, was sicherlich auf eine gerichtliche Klärung hinauslaufen wird.

BBZ: Was ist ihrer Meinung nach das Problem. Haben Arbeitgeber keine Ahnung von der gesetzlichen Lage?

Ich denke, das Problem ist zum einen die Kenntnis, oder besser Unkenntnis um die rechtliche Lage, und zum anderen das fehlende Wissen um die Schwierigkeiten schwerbehinderter Bewerber auf dem Arbeitsmarkt. Beides führt dazu, dass sich „der potenzielle Arbeitgeber“ wenig bis gar keine Gedanken macht, ob überhaupt eine freie Stelle mit einem behinderten Arbeitnehmer besetzt werden kann, oder gar welche arbeitsmarktpolitischen Möglichkeiten zur besseren Eingliederung der Gesetzgeber geschaffen hat und welche Konsequenzen dies für den schwerbehinderten Interessenten hat.

BBZ: Ihre gesammelten Erfahrungen hinterlassen ja auch Spuren. Wie fühlen sie sich?

Ich bin in erster Linie überrascht, dass es so schwierig ist, trotz meiner – wie ich meine – eigentlich ganz guten Voraussetzungen, eine passende Stelle zu finden. Zumindest den auf eine Bewerbung folgenden Schritt, eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch, hätte ich mir jedenfalls öfter gewünscht. Würde einem Schwerbehinderten nämlich diese Möglichkeit eröffnen, wäre es für ihn um einiges leichter, den potentiellen Arbeitgeber von seiner persönlichen und fachlichen Eignung zu überzeugen. In diesem Zusammenhang hat mich natürlich auch sehr überrascht, wie wenig öffentliche Arbeitgeber um die Verpflichtung zu einer  solchen Einladung wissen und dass bei einer Pflichtverletzung unter Umständen ein Entschädigungsanspruch begründet ist.
Ich habe zudem geglaubt, dass die genannten arbeitsmarktpolitischen Werkzeuge, wie Arbeitgeberzuschuss und so weiter, ein ausreichendes Mittel zur beruflichen Eingliederung darstellen. Doch auch hier sah ich mich getäuscht.

BBZ: Was wünschen sie sich, was sollte besser werden? Können Sie überhaupt noch was mit der vielzitierten „Inklusion“ anfangen?

Ich bin der Meinung, dass der Inklusionsgedanke nach wie vor wichtig ist, dass aber die Umsetzung der Inklusion, was ich im übrigen als Prozess verstehe, um einiges schwieriger ist. Woran es in erster Linie hapert, ist meiner Meinung nach die fehlende Kenntnis um die rechtliche Lage, als auch am dafür notwendigen Bewusstsein – im wahrsten Sinne des Wortes fehlt es am „Inklusionsgedanken“. Außerdem denke ich, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen noch unzureichend sind. So halte ich es für durchaus diskutabel, es nicht nur den öffentlichen Arbeitgebern zur Verpflichtung zu machen, einen Bewerber – wenn dieser nicht offensichtlich ungeeignet ist – zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Dadurch würden sich meiner Einschätzung nach die Chancen einer Einstellung deutlich erhöhen, weil in einem persönlichen Gespräch eventuell bestehende Vorurteile viel leichter überwunden werden können.

BBZ: Herr Tietze, wir danken Ihnen für das Gespräch und vor allem für die offenen Worte.

* Anmerkung: Der Name wurde von der Redaktion geändert um weitere Nachteile für Herrn Tietze zu vermeiden.