Perspektivwechsel

von: Berliner Behindertenzeitung

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Udo Reiter, Indentant des MDR, hat viel zu berichten.

Der langjährige Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR), Udo Reiter, ist ein Mann mit kantigem Profil. Er bekennt sich zu dieser Art. Reiter ist einer der Wenigen, der sich eine eigene Meinung zu Themen und Situationen bildet, sie ausspricht und vertritt.
In der Autobiographie – „Gestatten, dass ich sitzen bleibe“, die im Aufbau-Verlag erscheint, zeigt sich, Udo Reiter ist ein Macher. Er ist ein Mensch, der die Zügel in der Hand führt.
Reiter verunglückt schwer und ist seither querschnittgelähmt. Er berichtet von den dunklen Tagen in seinem noch jungen Leben. Er ist erst 23 Jahre alt, als er ohne Studienabschluss, ohne Perspektive und Geld die Rehaklinik in Heidelberg verlässt. Was soll aus ihm werden? Er lebt vorübergehend bei den Eltern in Lindau. Trotz der Behinderung nimmt er sein Studium wieder auf. Diese Ausbildung führt ihn nach Berlin und München. Er macht seinen Abschluss, promoviert im Fach Germanistik. Wenn er stirbt, soll auf seinem Grabstein wenigstens Dr. Udo Reiter stehen. Nach seinem Unfall hat er häufig Selbstmordgedanken. Ein einsamer Abend, das letzte Glas Bier, der Abschiedsbrief an die Eltern ist geschrieben. Er hält seinen Revolver in der Hand, bereit, seinem Leben ein Ende zu setzen. „Aber in diesem Moment fiel es mir wie Schuppen von den Augen, dass ich mir etwas vorgemacht hatte. Ich war viel zu vital, um freiwillig auf das Leben zu verzichten…”
Er entscheidet sich für das Leben. Und was für ein Leben! Reiters Beispiel macht Mut. Es gibt viele spannende Aussichten für Menschen im Rollstuhl.

Dalai Lama und der Papst

Im Beruf steht Reiter seinen Mann. Dienstlich und privat unternimmt er viele Reisen. Sein Weg führt ihn in den Himalaya zu „Seiner Heiligkeit“ dem Dalai Lama, dem er mit einem halbrasierten Gesicht gegenübersitzt. In Rom begegnet er dem Papst, zwei Bodyguards heben ihn mit Schwung auf die Bühne und Reiter landet dem „Heiligen Vater“ fast auf dem Schoß. Er probiert Wildwasser-Rafting auf dem Colorado River. Reiter fährt mit einem umgebauten Wohnmobil den Pacific Highway entlang, und zieht einen Schwertfisch aus dem Meer vor Kuba.
Auf die Frage, warum er Journalist ist, erwidert er, dass er zufällig dazu kam. „Ungefähr wie man in eine Grube fällt.“ Aus dieser Grube hat sich Reiter mit Fleiß und Zähigkeit zum Hörfunkdirektor des Bayerischen Rundfunks hochgearbeitet. Es war kein leichter Weg. Reiters Offenheit, die Veranlagung Probleme beim Namen zu nennen und auszusprechen macht ihm nicht nur Freunde. Er wird von Kollegen gemobbt, hält aber durch und stellt sich den Problemen.
1991 wird er in den sächsischen Landtag bestellt. Reiter erhält das Angebot, Intendant des MDR zu werden. Ohne zu zögern sagt er zu.
Ihm gelingt es, innerhalb von zwei Jahren die Sendeanstalt aus dem Nichts aufzubauen. Reiter legt sich mit Kritikern an, die Probleme mit den Mitarbeitern aus den neuen Bundesländern haben. Er wird zum „Ossi-Versteher“. Diesen Einsatz danken ihm nicht alle Kollegen. Es kommt zu Skandalen in seiner Amtszeit, die den MDR viel Geld kosten. Reiter spricht offen über diese Zeit und seinen Umgang mit der Situation. Er sieht seine Fehler und bekennt sie klar und offen.
Fazit: Die Perspektive im Leben Reiters ändert sich häufig, seinem Wesen bleibt er treu. Launig erzählt, gewürzt mit Selbstironie und einer Prise Zynismus ist das Buch ein Genuss. Leser erleben einen Prominenten, der dazu steht, ein normaler Mensch zu sein. Der Leser erlebt die Welt aus der Perspektive eines Rollstuhlfahrers, der zeigt, alles ist möglich.

 

Von Carola Lymants