Rollstuhl und blind, sonst nichts?

Von Versprechern und Versprechen: Ein Besuch in der Mobilitätsservicezentrale der Deutschen Bahn

von: Siegurd Seifert

Silke Mundt (44) ist Servicemitarbeiter der Mobilitätsservice-Zentrale der Deutschen Bahn (Foto: Siegurd Seifert).

 

Wenn Leute den ganzen Tag am Telefon sitzen und Fragen beantworten, kommt es schon mal zu reichlich kuriosen Versprechern. Da sucht der Computer nach Essen oder die Anruferin wird gefragt, ob ihre Tochter weiblich sei. Man kann nur hoffen, dass dem Eisenbahn-Bundesamt nicht zu Ohren kommt, dass „ICE-Züge nicht sehr lange halten“. Auch die Überschrift über diesen Artikel ist ein solcher Versprecher.
Versprochen haben sich in diesen Fällen die Servicemitarbeiter der Mobilitätsservice-Zentrale der Deutschen Bahn (MSZ). Versprochen haben sie aber auch, sich in jedem Fall um die Belange der Reisenden, in ihrem Fall um behinderte Reisende und alleinreisende Kinder zu kümmern. Und dieses Versprechen nehmen sie ernst.

Der Fahrgast steht im Mittelpunkt

Dabei ist das nicht immer so einfach. Silke Mundt (44) kann ein Lied davon singen. 1999 begann sie ihre Tätigkeit im Reiseservice. Seit zehn Jahren ist sie Mitarbeiterin in der MSZ. Manchmal kommen noch Anrufe bei ihr an, die eigentlich zum Reiseservice gehören. Beispielsweise der ältere Herr, der sich durch das Internet geklickt hat, um am Ende festzustellen, dass er das verkehrte Datum für seine Reise angegeben hat. Dem Mann kann geholfen werden, allerdings nicht von Silke Mundt. Sie erklärt ihm freundlich, dass er eine andere Nummer anrufen muss und verbindet ihn dorthin. Den Aufwand für den Fahrgast so gering wie möglich halten, ist ihr Credo und das ihrer Kolleginnen.
Nicht immer lassen sich Probleme so leicht lösen. Beispielsweise das der blinden Frau, die von München in einen kleinen Ort in Oberbayern reisen will. Sie müsste unterwegs umsteigen, allerdings gibt es auf diesem Bahnhof kein Personal mehr. Es wird ihr niemand beim Umsteigen behilflich sein können. Silke Mundt nimmt eine Streckenkarte heraus und prüft Alternativstrecken. Am Ende findet sie eine Möglichkeit.
Die MSZ wurde im Jahr 2004 gebildet. In diesem Jahr gab es bereits über 90.000 Kundenkontakte und 66.000 Anmeldungen zu Hilfen im Reiseverkehr. Im Jahr 2014, also zehn Jahre später waren es bereits 228.000 Kundenkontakte und 169.000 Anmeldungen zur Hilfe. Hinzugekommen sind 251.000 Anfragen per E-Mail oder Fax.
Rund 100 Mitarbeiter bemühen sich in der Schweriner Servicezentrale um das Wohl der Reisenden. Sie sind ein Bestandteil der DB Dialog, die mit 1.400 Mitarbeitern 12 Millionen Kundenkontakte pro Jahr realisiert. Die hundertprozentige Tochter der Deutschen Bahn ist an sechs Standorten in Deutschland vertreten. Die MSZ als Teil des großen Ganzen kümmert sich um Menschen mit Behinderung und um das Projekt „Kids on Tour“.  Dabei werden Reisen für alleinreisende Kinder organisiert.

Im Backoffice läuft die Korrespondenz zusammen

Bianca Kiepert (43) überfliegt an ihrem Arbeitsplatz die eingegangenen E-Mails. Sie ist im Backoffice beschäftigt. Das ist der Bereich, der sich mit der eingegangenen Korrespondenz beschäftigt. Vor ihr liegt eine längere Korrespondenz mit einer Lehrerin, die mit ihrer Klasse eine Veranstaltung besuchen möchte. Das Problem: Der Zug kommt auf einem Bahnsteig an, an dem man Stufen überwinden muss und der Klasse gehören fünf Rollstuhlfahrer an. Sie können aus dem Zug aussteigen, kommen aber nicht vom Bahnsteig. Am Nachbarbahnsteig wäre das möglich. „Dann muss man eben den Zug auf das andere Gleis umleiten“, beharrt die Lehrerin. Das aber kann Bianca Kiepert nicht veranlassen, auch wenn sie es gern möchte. Der Bahnhof wird von einer Privatbahn benutzt, sie hat keinerlei Möglichkeiten, auf deren internen Regelungen Einfluss zu nehmen. Da muss es doch eine Lösung geben, überlegt sie. Also Fahrpläne von Busunternehmen hergenommen, Alternativen über andere Bahnhöfe gesucht, Kosten überprüft. Nein, es gibt keine Lösung, jedenfalls keine, die von der MSZ in Angriff genommen werden könnte. Resigniert schreibt Bianca Kiepert der Lehrerin, dass nach Prüfung aller Möglichkeiten keine Lösung zu finden sei. Sie schreibt ihr die Kontaktdaten der Privatbahn auf, damit die Lehrerin dort eine Gleisverlegung beantragen kann.
Privatbahnen und Reisen ins Ausland

Von Gleisverlegungen abgesehen funktioniert die Zusammenarbeit mit Privatbahnen gut. Es gibt eine Schnittstelle zur EVU, das sind die Eisenbahnverkehrsunternehmen. Reisen werden von der Mobilitätsservicezentrale durchgebucht. Hilfe wird auch in Privatbahnen angemeldet. Da diese aber wirtschaftlich selbstständige Unternehmen sind, bleibt es bei der Mitteilung.
Die Zusammenarbeit geht ebenfalls über Ländergrenzen hinweg. Es ist möglich, bei den Schwerinern Hilfe für eine Reise nach Rom oder Stockholm anzumelden. Die länderübergreifende Hilfe für Reisende mit Einschränkungen funktioniert gut.

Zusammenarbeit auch in Deutschland

Die Deutsche Bahn ist ein riesiges Gebilde. Tausende eigene und fremde Züge fahren täglich über ihre Gleisanlagen. Allein im Berliner Hauptbahnhof fahren jeden Tag um die tausend Züge in die Bahnsteige ein und aus. Da kann es schon mal zu Problemen kommen. Als der blinde Moderator Sascha Lang von Berlin nach Trier mit Umstieg in Köln reiste, war aber niemand in Kölln da, der ihn abholte. Das Ergebnis: Sein Zug nach Trier war weg, die Fahrkarte für den nächsten Zug nicht gültig. Glücklicherweise traf er auf einen kulanten Zugbegleiter und so ging die Reise wenigstens ohne finanziellen Schaden zu Ende. Es war so ein typischer Fall von Reisen mit der Bahn.

Im Notfall Hilfe in der MSZ anfordern

War er das wirklich? Nein, sagt Silke Mundt. Hätte er auf dem Bahnsteig in Kölln die Servicezentrale angerufen, wäre ihm sofort geholfen worden. Schließlich hat er dort die Hilfe bestellt. Die MSZ arbeitet ausgezeichnet mit der 3S-Zentrale zusammen. Das sind die Leute auf den Bahnhöfen. Sie hätten alles für Sascha Lang geklärt.
Silke Mundt erlebt immer wieder, dass Leute losschimpfen, anstatt sich mit der MSZ in Verbindung zu setzen und sich von dort Unterstützung zu holen.
Manche angeforderten Hilfen müssen allerdings tatsächlich abgelehnt werden. Wenn beispielsweise bereits mehrere Hilfen zur gleichen Zeit angemeldet wurden. Wenn alle Service-Mitarbeiter zu diesem Zeitpunkt bereits im Einsatz sind, hilft nur noch, einen früheren oder späteren Zug zu suchen. Reisende bringen nicht immer Verständnis für diese Situation mit. Allerdings beträgt die Ablehnungsrate lediglich 0,2 Prozent der 169.000 Anmeldungen zur Hilfe im Jahr.