Schafft Deutschland die Umsetzung der vollständigen Barrierefreiheit?

von: Dominik Peter

Berlin Hbf in vorweihnachtlicher Stimmung

Foto: Deutsche Bahn.

Der Deutsche Bahnkunden Verband e.V.  (DBV)-Bundesverband schlägt Alarm: Der im Personenbeförderungsgesetz (PBefdG), § 8, genannte Termin ist eindeutig. Am 1. Januar 2022 muss der öffentliche Verkehr vollständig barrierefrei sein. Nur in Nahverkehrsplänen können Ausnahmen beschrieben werden. Passiert sei bisher jedoch nicht viel. Der Verband sieht vor allem drei Problemfelder.

Planung und Bau

Vielerorts müssen Haltestellen umgebaut, neue Niederflurstraßenbahnen und -busse angeschafft, Zugangsbauwerke und Bahnsteige angepasst werden. Das erfordert einen erheblichen Planungs- und Bauaufwand. In der Regel sind hierzu aufwändige Genehmigungsverfahren notwendig. Dem DBV ist keine Kommune bekannt, die hierfür einen Zeitplan entwickelt hat. Auch seien Behinderten- und Nahverkehrsbeiräte in Deutschland nicht flächendeckend anzutreffen. Diese seien jedoch notwendig, um an den Nahverkehrsplänen mitzuwirken, die in Ausnahmefällen beschreiben würden, wie Barrierefreiheit konkret definiert werde.

Finanzierung

Vor der Planung steht die Bereitstellung der Finanzen. Auch hier hat nach Informationen des DBV noch keine Kommune ausreichend Vorsorge getroffen. Der sowieso unterfinanzierte Verkehrshaushalt biete, realistisch betrachtet, nirgends Spielraum, um innerhalb von knapp sechs Jahren mehrere Millionen für den Umbau von Haltestellenanlagen, die Neuanschaffung von geeigneten Fahrzeugen oder den Einbau von Aufzügen sicher zu finanzieren.

Das PBefG ist ein Bundesgesetz, und für die Einhaltung des Termines 1.1.2022 ist eigentlich auch die Bundesregierung zuständig. „Leider werden die Bundesländer und Kommunen mit der Finanzierung allein gelassen“, so der DBV. Stattdessen verweise die Bundesregierung auf Gelder, die die Bundesländer bereits heute für Infrastrukturmaßnahmen bei den Eisenbahnen erhalten (sogenannte LuFV, Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung). Jedoch seien die LufV-Mittel ursprünglich für die Umsetzung der Barrierefreiheit nicht vorgesehen und nur für den Eisenbahnverkehr bestimmt. Wenn es um die Mitbeteiligung an den Kosten für die Herstellung der vollständigen Barrierefreiheit gehe, würden die Bundesländer und Aufgabenträger allein gelassen. Dies sei, so antwortet die Bundesregierung in der Bundestags-Drucksache 18/5652, Frage 6, nicht ihre Aufgabe: „Die im Wettbewerb am Verkehrsmarkt operierenden Eisenbahnunternehmen haben die Bedingungen für die Herstellung der Barrierefreiheit im Einzelnen in eigener unternehmerischer Verantwortung zu regeln und darüber zu entscheiden, welche Art von Maßnahmen zur Herstellung der Barrierefreiheit sie ergreifen und zu welchem Zeitpunkt sie die Investitionen tätigen. […]“.

Fazit des DBV

„Die gesetzlich vorgeschriebene Umsetzung der vollständigen Barrierefreiheit zum 1.1.2022 scheint gefährdet. Die Bundesregierung fühlt sich dafür nicht verantwortlich, es gibt kaum Konzepte zur zeitlichen Umsetzung und zur Finanzierung von Fahrzeugneuanschaffungen und Ertüchtigung der Infrastruktur. Selbst den gesamten Kostenrahmen kennt niemand genau. Eine Beteiligung der Fachverbände hat mit wenigen Ausnahmen bisher nicht stattgefunden“, so der Bahnkunden-Verband.

Jeder Monat, der ungenutzt verstreiche, trage zur Verschärfung des Problemes bei. „Es sieht so aus, als ob die Behindertenbelange im Moment zum Spielball zwischen Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik werden – nach dem Motto: Wer sich als erster bewegt, hat verloren“, meint der DBV.

„Hat niemand in der Politik erkannt, welche Sprengkraft das Datum 1.1.2022 in sich birgt? Aussitzen und Verschieben wird nur dazu führen, dass Behinderte und deren Verbände ihre gesetzlich verbrieften Rechte ab Januar 2022 einklagen werden.“ Deshalb erwartet der DBV-Bundesverband, dass sich die Verantwortlichen schnellstens über die notwendige Finanzierung und Umsetzung einigen und die konkrete Umsetzung angehen.

Über den Deutschen Bahnkunden-Verband (DBV):

Als „Lobby der Bahnkunden“ versteht sich der Deutsche Bahnkunden-Verband. Dabei vertritt der eingetragene und als gemeinnützig anerkannte Verein sowohl die Interessen von Fahrgästen im Nahverkehr und von Reisenden im Fernverkehr als auch Kunden im Güterverkehr. 1990 in Berlin gegründet, hat der bundesweit tätige Dachverband heute über 7.500 Mitglieder. Sie sind in Landesverbänden organisiert, die sich wiederum in Regionalverbände, Vereine und Initiativen untergliedern. Parteipolitisch neutral und auch ansonsten unabhängig, beschäftigen sich die ehrenamtlichen DBV-Mitglieder mit Themen wie Mobilität auf der Schiene, Infrastruktur, Finanzierung und barrierefreies Reisen. Neben der Interessenvertretung von Bahnkunden erarbeitet der DBV auch alternative Verkehrsmodelle, Verbindungen und gesetzliche Regelungen. Eines der Ziele des Verbraucherschutzvereins ist die Verbesserung des Kundenservices bei der Deutschen Bahn AG. Daneben widmen sich die DBV-Landesverbände der „Bewahrung von eisenbahngeschichtlichen Werten“ und zeichnen Personen bei der Förderung des öffentlichen Verkehrs aus. Spenden und Beiträge sind steuerlich absetzbar.

Der Bundesverband ist Mitglied im Europäischen Fahrgastverband EPF, der Allianz pro Schiene und des Klima-Bündnisses.