Eiskalter Wind pfeift durch die Straßen Berlins, in der Ourdenarder Straße im Wedding hasten die Menschen, um schnell ins Warme zu kommen. Aus einem der Räume der Gesundheitsakademie der Charité allerdings klingt es fröhlich: „Nun will der Lenz uns grüßen“. Eine illustre Truppe von rund 30 Menschen unterschiedlichen Alters sitzt im Kreis und singt sich einfach den Frühling herbei.
Die Menschen, die sich mutig dem Winter entgegenstellen und mit ihrem Gesang die Kälte zu vertreiben suchen, sind der Aphasie-Chor Wedding. Aphasie ist eine erworbene Sprachstörung durch eine Schädigung der linken Gehirnhälfte. Ursachen können Krankheiten, Schlaganfall oder Unfälle sein. In jedem Fall hat der Patient mehr oder weniger erhebliche Probleme mit der Artikulation. Chor und Aphasie scheinen auf den ersten Blick zwei Seiten einer Medaille zu sein, zwei Dinge, die nicht zusammenpassen wollen.
Munter drauf los
Der Chor in Wedding beweist klar das Gegenteil. Hier treffen sich Menschen aus purer Freude am Singen. Während Chorleiterin Julia Baumeister noch versucht, den Sängern den Text beizubringen, singen einige von ihnen schon munter los. „Das ist völlig in Ordnung“, betont sie. „Manchmal ist es ein Problem des Verständnisses, oftmals ist es aber dieses unbedingte Wollen.“ Bedenken, eine Gruppe von sprachgestörten Sängern zu betreuen, hatte die gelernte Sängerin mit Lehrbefähigung nicht. „Ich habe mir schon ein paar Gedanken gemacht, wie ich den Sängern vor allem Stücke vermitteln kann, die sie noch nicht kennen“. Lieder, die die Aphasiker schon vor dem Ereignis kannten, das der Auslöser war, sind natürlich noch vorhanden. Schwierig wird es mit Liedern, die neu erlernt werden müssen. Allerdings trifft dies nur sehr bedingt zu, das Lied vom Lenz, den der Chor an diesen Nachmittag begrüßte, lernten sie sehr schnell.
Kommunikation und Spaß
Der Chor hat sich vor etwa anderthalb Jahren gegründet. Damals war Therapeutin Monika Samuel und Patientin Sevim Kilic in Würzburg zu den Aphasietagen. Sie lernten eine Gesangsgruppe kennen und das gefiel vor allem Sevim Kilic. So war die Idee geboren, auch in Berlin einen solchen Chor aufzubauen. Gemeinsam mit dem Bundesverband Aphasiker und dem Aphasiezentrum wurde die Idee besprochen und der Chor gegründet. „In der Aphasie-Therapie geht es viel um Teilhabe und um Aktivitäten im täglichen Leben, trotz der erworbenen Störung“, erklärt Monika Samuel. „Der Chor ist so etwas Wunderbares, da geht es um Kommunikation und um Spaß. Die Patienten merken an so vielen Stellen, dass etwas nicht mehr geht und hier merken sie, dass etwas geht.“ Manche sind nicht in der Lage, ihren Beruf auszuüben, und hier sitzen sie und singen und es geht alles so leicht. „Sie einfach mal an die Hand zu nehmen und mitzunehmen, das ist wichtig“, ergänzt Sevim Kilic. „Einfach da zu sein, egal, ob man sprechen kann oder nicht, das spielt keine Rolle. Einfach etwas Positives zu erleben, das ist wichtig.“
Kontakt: mona.samuel@charite.de oder 030/450 555 114
Von Siegurd Seifert

