Ulla Schmidt im BBZ-Interview

von: Dominik Peter

UllaSchmidt

Ulla Schmidt (63 Jahre) gehört dem Deutschen Bundestag an seit 1990 an.

Die SPD-Politikerin war von 2001 bis 2009 Bundesministerin für Gesundheit. Seit September 2012 ist Ulla Schmidt Bundesvorsitzende der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V.

 

 

BBZ: Frau Schmidt, während ihrer Berufstätigkeit als Lehrerin für Sonderpädagogik bildeten sie sich zudem für das Lehramt zur Rehabilitation lernbehinderter und erziehungsschwieriger Schüler weiter. Hat Ihnen das in der Zeit der großen Koalition oder beim Umgang mit den Lobbygruppen während Ihrer Zeit als Bundesministerin für Gesundheit geholfen?

In meiner 17jährigen Berufstätigkeit überwiegend an Schulen für lernbehinderte oder verhaltensauffällige Schülerinnen und Schüler stand ich immer wieder vor neuen Herausforderungen und manchmal waren schon die schönsten Planungen um 1 Minute nach 8 zu nichts mehr wert. Also immer wieder neu anfangen, einfache Sprache verwenden, immer wieder nach neuen Lösungswegen suchen – so gesehen keine schlechte Voraussetzung, um auch in schwierigen Politikfeldern seine Frau zu stehen.

BBZ: Ich komme gerade von einer USA-Reise zurück. Dort hat Präsident Barack Obama ein Gesetz erlassen, dass alle öffentlichen Schwimmbäder oder Hotelpools rollstuhlgerecht zugänglich sein müssen. Wenn nicht, müssen diese schließen. Getreu dem Motto: Entweder können alle schwimmen gehen oder keiner. Was halten Sie davon?

Das findet meine uneingeschränkte Unterstützung. Obwohl die USA kein sozialer Rechtsstaat in unserem Sinne ist, genießen Menschen  mit Behinderungen dort viel selbstverständlicher Teilhaberechte. Das zeigt auch, dass die hier bei uns immer wieder geäußerten Argumente, gesetzlich verbindliche Vorgaben z. B. für die Privatwirtschaft würden zu unverantwortlichen Belastungen für die Wirtschaft führen, nicht zutreffend sind. Die ökonomischen Probleme der US-amerikanischen Wirtschaft sind vielfältig, mit individuell einklagbaren Rechten für behinderte Menschen aber haben sie auch im Entferntesten nichts zu tun.

BBZ: Ich habe Sie neulich auf einer Tagung erlebt. Dort erklärten Sie, dass Zielvereinbarungen oder Selbstverpflichtungen Behinderten wenig gebracht hätten. Fordern Sie also verbindliche Gesetze?

Die Wirtschaft hatte 10 Jahre Zeit, Zielvereinbarungen zu treffen und umzusetzen. Sie hat diese Zeit nicht genutzt. Also ist es jetzt Zeit für gesetzliche Regelungen, die auch die Privatwirtschaft in die Pflicht nehmen.

BBZ: Sie saßen mal für die SPD im Fernsehrat des ZDF und sitzen derzeit im Bundestagsausschuss für Kultur und Medien. Können Sie verstehen, dass der Berliner Behindertenverband e.V. einen Vertreter der Berliner Behindertenbewegung für den RBB Rundfunkrat einfordert?

Ja. Das findet meine volle Unterstützung. Wer sonst, wenn nicht die behinderten Menschen selbst, kann am besten sehen, wenn die Rechte behinderter Menschen nicht berücksichtigt werden.

BBZ: Auf welche politische Leistung ihrer bisherigen Laufbahn sind Sie besonders stolz und welche Entscheidung war für Sie im Rückblick falsch?

Das ist schwierig zu sagen. Es gibt viele gesetzliche Regelungen in Bezug auf mehr Gleichstellung, Teilhabe und soziale Gerechtigkeit. Besonders froh bin ich, dass es bei allen – auch schwierigen Gesetzgebungen – immer gelungen ist, das Solidarprinzip als Grundlage unseres Sozialstaates zu erhalten.
Falsch war z. B., dass wir bei den Zuzahlungen im Gesundheitswesen die Freistellung für geringe Einkommen gestrichen haben. In der Folge haben auch die Sozialämter die Unterstützung gestrichen, so dass hieraus für einkommensschwache Bürgerinnen und Bürger wirkliche Belastungen entstanden sind.

BBZ: Eine letzte Frage. Sie sind seit 3 Jahrzehnten in der SPD und kandidieren wieder für den Bundestag. Welche politische Ziele würden Sie gerne umsetzen?

In der nächsten Legislaturperiode möchte ich drei sozialpolitisch wichtige Entscheidungen gesetzlich auf den Weg bringen: die Bürgerversicherung Gesundheit und Pflege, den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff, der den ganzen Menschen in den Blick nimmt und statt auf Minutenpflege auf Förderung von Teilhabe und Selbstständigkeit setzt, und ein Bundesteilhabegesetz, das das Recht auf Teilhabe außerhalb des Sozialhilferechts verankert.

BBZ: Frau Schmidt, ich bedanke mich herzlich für dieses Gespräch.