Von gefesselten Kommissaren und anderen Absurditäten

Über die Darstellung behinderter Menschen in den Medien

von: Berliner Behindertenzeitung

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“Barfuß oder Lackschuh”: Über Menschen mit Behinderung wird entweder aus der Leidensperspektive oder in Form der Heldendarstellung berichtet. Auf jeden Fall wird der behinderte Mensch immer auf seine Defizite reduziert. Formulierungen wie “an den Rollstuhl gefesselt”, oder “sie genießt das Leben trotz ihres Schicksals” sind in den Medien so verbreitet und so hartnäckig wie Vogelmiere im Schrebergarten.

Man glaubt, es muss doch mittlerweile der letzte nichtbehinderte Journalist begriffen haben, und dann kommt eine Pressemitteilung wie diese:

„Am 26.09. läuft im ZDF der erste Film einer neuen TV-Reihe. In der Hauptrolle: Florian Teichtmeister, der einen Kommissar spielt, der nach einem schweren Unfall an den Rollstuhl gefesselt ist.“

So eine Behauptung wirft natürlich Fragen auf. Wer fesselt eigentlich den Kommissar? Macht das der Requisiteur oder der Regisseur? Oder gibt es einen speziellen Mitarbeiter am Set, der für die Fesselung verantwortlich ist? Was gleich die nächste Frage nach sich zieht: Ist so ein Film denn noch Jugendfei wegen der Fesselspiele? Und womit wird der Kommissar gefesselt? Benutzen die Filmleute Seile oder Leder dafür? Fragen über Fragen.

Wir können das nicht so stehen lassen. Also fragen wir die PR-Redaktion, die uns diese Pressemitteilung geschickt hat, wer denn nun für die Fesselung verantwortlich ist und bekommen tatsächlich einige Tage später eine Antwort:

Nach Ihrem Hinweis auf die Formulierung „an den Rollstuhl gefesselt“ und einer kleinen eigenen Recherche wurde uns erst bewusst, dass es dazu schon sehr viele Diskussionen gibt.

Hallo? Es gibt schon Diskussionen darüber? Nein, liebe Kollegen, darüber gibt es keine Diskussionen. Und im Übrigen, es ist schlimm, wenn man erst recherchieren muss, um festzustellen, dass für einen Betroffenen ein Rollstuhl eher ein Instrument der Mobilität ist und nicht ein Objekt für Fesselspiele. Da hilft nur Nachdenken über das, was man schreibt.

Na gut, wir wollen nicht kleinlich sein. Es ist ja schon ein Gewinn, wenn überhaupt behinderte Menschen eine Rolle in Filmen spielen. Aber bitte, warum muss die Rolle mit einem Nichtbehinderten besetzt werden? War wirklich kein talentierter Rollstuhlfahrer in der Nähe? Der Darsteller, Florian Teichmeister, hat sich in die Rolle eingearbeitet, indem er vier Wochen im Rollstuhl durch Wien gefahren ist. Dann muss er jetzt ja wissen, wie das Leben eines Rollstuhlfahrers ist. „Erstaunlich war dabei für mich, wie viele Menschen glauben, sich irgendwie speziell verhalten zu müssen, nur weil da einer im Rollstuhl daherkommt und nicht auf einem Skateboard oder zu Fuß. Es ist absurd, dass das Mittel der Fortbewegung so viel verändert“, wundert er sich dann auch.

Bereits vor einigen Wochen bekam die Redaktion so eine Pressemitteilung. Ein Bartok Irgendwer rollt für eine gute Sache quer durch Polen. Dass auch er – diesmal vornehmer, aber dennoch falsch – an den Rollstuhl „gebunden“ ist, wollen wir freundlich übersehen. Denn er „leidet an Muskeldystrophie“. Was will uns der Autor damit sagen? Will er überhaupt etwas sagen, oder ist das einfach eine dieser unsäglichen Floskeln?

Der Tagesspiegel schreibt in seiner Online-Ausgabe vom 23. August in einem Artikel über den Abtreibungsautomatismus von Föten, die „beispielsweise (an) dem Down-Syndrom leiden oder behindert auf die Welt kommen“. Vielleicht sollte die Lebenshilfe einmal überlegen, ob sie diesen Journalisten nicht zum nächsten Ball der Lebenshilfe einladen sollte. Dort würde er auf der Tanzfläche herumtollende Jugendliche und überhaupt nicht leidende Menschen mit Down Syndrom kennenlernen. Er hätte ganz bestimmt einen Erkenntnisgewinn.