Von Tauben und Drohnen 

Die Ausstellung des Technikmuseums „Das Netz. Menschen, Daten, Kabelströme“ aus Sicht eines stark sehbehinderten Besuchers

von: Markus Leist

Als "Datenkraken" werden Firmen und Institutionen bezeichnet, die Informationen von Menschen im groflen Stil sammeln und auswerten. Ab 2008 nahm Otto als Protestsymbol gegen zunehmenden Datenmissbrauch und ‹berwachung an zahlreichen Demos teil. Material: Rattanskelett mit Stoff¸berzug, Tentakelspannweite 18 Meter (Bereich Information)Als "Datenkraken" werden Firmen und Institutionen bezeichnet, die Informationen von Menschen im groflen Stil sammeln und auswerten. Ab 2008 nahm Otto als Protestsymbol gegen zunehmenden Datenmissbrauch und ‹berwachung an zahlreichen Demos teil. Material: Rattanskelett mit Stoff¸berzug, Tentakelspannweite 18 Meter (Bereich Information)

Haben Sie noch einen Duden oder ein Lexikon in gedruckter Form zuhause? Die meisten wahrscheinlich nicht mehr. Die Informationen finden wir in der Weltbibliothek „Netz“. Wir nutzen täglich das Mobiltelefon und gehen ins Internet. Informations- und Kommunikationsnetze bestimmen unseren Alltag. Doch was aus technischer Sicht passiert, ist für viele kaum vorstellbar. Die Ausstellung „Das Netz. Menschen, Kabel, Datenströme“ im Deutschen Technikmuseum in Berlin, erklärt uns die Welt der Informations- und Kommunikationsnetze. Auf 1.600 m² mit über 500 Objekten, bekommen nicht nur Laien erstaunliche Einblicke in 200 Jahre technische Entwicklung 

Ich bin um 13 Uhr mit Ruth Wiegering im Eingangsbereich der Ausstellung verabredet. Frau Wiegering arbeitet für GETEQ Gesellschaft für teilhabeorientiertes Qualitätsmanagement. Die Stiftung Deutsches Technikmuseum beauftragte GETEQ für die Evaluation der Ausstellung „Das Netz“, um Barrierefreiheit und Inklusion im Museum längerfristig zu verbessern.

Nachdem ich die Ausstellung durchlaufen habe, erklärte mir Frau Wiegering, wohin ich zur Befragung müsse. Da ich selber eine Sehbehinderung habe, nehme ich auch an dem Interview teil. Aber zuerst einmal mache ich mir einen Überblick über die Ausstellung. Das Netz wird aus drei unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet.

– CONNECT: „Wir sind das Netz“ thematisiert den Umgang der Nutzer, mit dem Netz

– BACKBONE: „Netztechnik“ erklärt die Infrastruktur des Netzes und

– INFORMATION: „Wissen im Netz“ veranschaulicht die Inhalte die über Netze vermittelt werden.
Neun weitere Themeninseln und Mitmachstationen geben einen Einblick wie sich die zunehmende Vernetzung in unterschiedlichen Lebensbereichen auswirkt. Konkrete Anwendungsbereiche wie beispielsweise : „GAMES. Ins Netz gespielt“, „HOME. Das vernetzte Haus“, ,MAPS. Karten machen mobil“, „MUSIC. Musik durchs Netz“, NEWS. Keine Nachricht ohne Netz“„OFFICE. Das mobile Büro“, „SHOPPING. Online einkaufen“, „SNAPSHOT. Bilder mit Mehrwert“,, und „WEATHER. Wetter vorhersagen“ machen deutlich, dass diese technischen Errungenschaften für das öffentliche und private Leben immer wichtiger werden,

Der kompetente Museumsroboter

Ich gehe zuerst zu Tim. Sein Vorname ist kein Zufall. Der Erfinder des World Wide Web, war Tim Berners-Lee. Tim ist ein 1.50 Meter großer und ungefähr 75 Kg schwerer Museumsroboter, der fließend deutsch und englisch spricht. Er sieht aus wie ein etwas zu groß geratenes türkisblaues Mensch-ärgere-dich-nicht Männchen mit Augen der einen Touchscreen hält. Auf dem Display erscheinen zwölf der rund 500 Ausstellungsobjekte. Wählen sie aus und Tim führt sie hin und erzählt etwas über das Ausstellungsobjekt. Tim begleitet mich zu einem Teilstück des ersten Transatlantikkabels aus dem 19. Jahrhundert. Was damals noch einige Sekunden gedauert hat, Daten und Nachrichten von Kontinent zu Kontinent zu senden, geschieht heute durch Glasfaserkabel in einem Bruchteil einer Sekunde, so erfahre ich. So fing also damals die Vernetzung der Welt an. Heute laufen immer noch mehr als 90 Prozent des Internetverkehrs über die Verbindungen am Boden der Weltmeere.

Danach entlassen ich Tim und schaue mir die Ausstellung weiter ohne ihn an. Er fährt wieder zu seinem Platz.

Ich entdecke einen fahrbaren Brieftaubenschlag neben einer im Afghanistan-Krieg eingesetzten Aufklärungsdrohne der Bundeswehr, Brieftauben mit umgeschnallten Miniaturkameras wurden im Ersten Weltkrieg zur Luftaufklärung eingesetzt. Könnten wir da von Analog – oder Biodrohnen sprechen? An verschiedenen Medienstationen habe ich die automatische Gesichtserkennung ausprobiert, versucht die Arbeit eines Computers zu übernehmen und Buchstaben in den ASCII-Code umzuwandeln, der dann per Lichtimpuls durch ein Glasfaserkabel geschickt wird. Ich bin etwas verwundert über einen aufgeklappten Toilettensitz im Museum. Gut das es Tim gibt. Er erklärt mir dazu: “Hier seht ihr eine besondere Klobrille. Sie kann viel mehr als ein gewöhnlicher WC-Sitz. Dafür sorgen die goldenen Elektroden, die in die Sitzfläche eingebaut sind. Damit untersucht die Toilette automatisch jeden, der auf ihr Platz nimmt. Sie misst den Fettanteil und den Wasseranteil im Körper und prüft, ob das Herz richtig funktioniert. „Smarte“ Toilettenbrille?
In der Ausstellung werden nicht nur die Chancen und Möglichkeiten thematisiert sondern auch die Herausforderungen vor der sie uns stellt, denke ich, als ich die Überreste eines Motherboards sehe. Hierbei handelt es sich um das Board eines HP Compaq 8200 Elite Rechners, der 2013 bei der britischen Zeitung „The Guardian“ mit Dokumenten Edward Snowdens in Berührung gekommen war . Die Hauptplatine musste die Zeitungsredaktion auf Anweisung der britischen Regierung und Geheimdienstes zerstörten.

Otto ist aus Latex

Es geht den Ausstellungsmachern darum, ein technisches Verständnis des Internets zu vermitteln aber auch um die Auseinandersetzung mit nicht-technischen Aspekten dass eigene Nutzerverhalten zu hinterfragen. Otto ist der modellierte Beweis aus Latex dafür.

Sie wissen nicht wer Otto ist? Otto ist ein 18 Meter langes Modell eines Kraken. Die sogenannte „Datenkrake“ symbolisiert mit ihren Tentakeln Unternehmen, die unsere Daten haben wollen. Otto war, bevor er ins Museum kam, bei zahlreichen „Freiheit statt Angst“-Demonstrationen dabei, um sich für mehr Datenschutz einzusetzen. Nach Otto verlasse ich die Ausstellung und nehme an dem Interview teil.

Was benötigt jemand, der wenig sieht, Blind ist oder eine andere Behinderung hat und an einem Museumsbesuch interessiert ist ? Auf die Ausstellung bezogen und aufgrund meiner Sehbehinderung ist mir folgendes aufgefallen. Es ist wichtig, dass sich der Museumsbesucher orientieren kann.

Dabei helfen, gut sichtbare Wegbeschreibungen für sehbehinderte Menschen und ein Leitsystem mit tastbaren Markierungen für blinde Menschen. Für Hintergrundinformationen zu den Ausstellungsstücken wäre ein Audioguide sehr hilfreich, der das Aussehen der Exponate erklärt. Für Blinde oder stark sehbehinderte Menschen ist es wichtig, im Museum möglichst viel anfassen zu können

Das Deutsche Technikmuseum bietet für blinde und sehbehinderte Besucher an jedem 1. Sonntag im Monat um 11.00 Uhr, eine Führung an. Bei einigen der Ausstellungen dürfen Besucher dann sogar hinter die Absperrungen und die Objekte ertasten. Die Dauerausstellung „Das Netz. Menschen, Kabel, Datenströme“ gehört noch nicht dazu.

Die Ergebnisse der Evaluation werden dazu genutzt Barrierefreiheit und Inklusion im Museum weiter zu verbessern. Blinde und stark Sehbehinderte sollten sich in Begleitung die Ausstellung ansehen. Es werden viel Aha – Erlebnisse geliefert. Wie gelangt eine Nachricht durchs Netz? Wie funktioniert eine Suchmaschine? Was um alles in der Welt ist das TCP/IP-Protokoll? Und was ist dieses Internet überhaupt? Antworten und vieles mehr bekommen Sie in der Ausstellung.