Wachsende Nachfrage nach inklusiven Schulen

Marion Thiel-Blankenburg im exklusiven BBZ-Interview.

von: Dominik Peter

Frau Marion Thiel-Blankenburg ist ausgebildete Sonderpädagogin. Sie arbeitete unter anderem viele Jahre an Grundschulen im gemeinsamen Unterricht (Integration). Von 2006 bis 2014 war sie Schulleiterin eines Förderzentrums mit dem sonderpädagogischen Schwerpunkt Lernen (Paul-Braune-Schule). Seit 2010/11 ist sie zudem Koordinatorin des Schulversuchs ISI – Inklusive Schule in Steglitz-Zehlendorf und seit 2013/14 kommissarische Leiterin des Beratungs- und Unterstützungszentrums in Steglitz-Zehlendorf (Pilotprojekt)

BBZ: Unter dem Begriff OLYMPUS DIGITAL CAMERA„Inklusion“ versteht jeder etwas anderes, so meine persönliche Einschätzung. Was bedeutet für Sie Inklusion?

Marion Thiel-Blankenburg: Inklusion ist ein Menschenrecht und bedeutet für mich die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen in allen gesellschaftlichen Bereichen unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Orientierung oder Behinderung. Für den Bereich der Bildung liegt der Fokus auf der Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit verbunden mit der Aufgabe, für jedes Kind Zugänge zu einer bestmöglichen Bildung in einer Gemeinschaft zu schaffen sowie Barrieren in Haltungen und Gebäuden abzubauen.

BBZ: Wie weit ist denn die Umsetzung „Inklusiver Schulen“ in den letzten Jahren in Berlin ihrer Meinung nach vorangekommen?

Marion Thiel-Blankenburg: Die Umsetzung inklusiver Schulen in Berlin steht noch am Anfang. Es gibt in einigen Bezirken Modellversuche, die schulübergreifend in Verbünden Erfahrungen sammeln und sich in den letzten 5 Schuljahren weiterentwickelt haben. Es gibt aber auch außerhalb der Schulversuche einzelne Schulen, die sich auf den Weg gemacht haben. Viele Schulen verhalten sich jedoch noch abwartend. Die Senatsverwaltung arbeitet unter der Beteiligung einer breiten Öffentlichkeit an einem Konzept für einen tragfähigen Rahmen zur Umsetzung der Inklusion in der Berliner Schule.

BBZ: Frau Thiel-Blankenburg, Sie waren Schulleiterin der Paul-Braune-Schule in Berlin. Außerdem sind Sie die Koordinatorin vom Modellprojekt „Inklusive Schule in Steglitz-Zehlendorf“. Was dürfen wir uns darunter vorstellen?

Marion Thiel-Blankenburg: Zum Ende des letzten Schuljahres wurde die Paul-Braune-Schule, deren Schulleiterin ich seit 2006 war, nach einem 4-jährigen sukzessiven Prozess geschlossen. Die Auflösung dieses Förderzentrums mit dem sonderpädagogischen Schwerpunkt „Lernen“ wurde in Abstimmung mit allen Beteiligten getragen. Grund dafür war die wachsende Nachfrage der Elternschaft nach einem gemeinsamen Unterricht in der allgemeinen Schule für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderungen.
Parallel zu diesem Auflösungsprozess wurde vor 4 Jahren der Schulversuch „Inklusive Schule in Steglitz-Zehlendorf“ (ISI) unter Beteiligung von 6 Grundschulen eingerichtet, der inzwischen auf die integrierte Sekundarschule erweitert wurde. In diesem Zusammenhang bekam ich mit einem kleinen Beraterteam die Aufgaben der Koordinierung, Steuerung und Unterstützung der Modellschulen übertragen. Wir unterstützen die Modellschulen durch Beratung in ihrer Unterrichtsentwicklung, helfen durch Zusammenstellung und Entwicklung von Fördermaterialien im differenzierten Unterricht, gestalten Fortbildungen nach dem jeweiligen Bedarf einer Schule. Darüber hinaus moderieren wir schulinterne sowie –übergreifende Steuerungsgruppen zur Weiterentwicklung inklusiver Themenfelder und dokumentieren in kontinuierlichen Jahresberichten den Verlauf des Schulversuchs.

BBZ: Im Bezirk Steglitz-Zehlendorf gibt es seit letztem Herbst das Beratungs- und Unterstützungszentrum (Kurzform BUZ). Was darf man sich unter dem BUZ vorstellen?

Marion Thiel-Blankenburg: Das BUZ wurde als Pilotierungsprojekt bei uns und in 3 weiteren Bezirken Berlins eingerichtet. In enger Kooperation mit dem schulpsychologischen Beratungszentrum dient es, wie der Name schon sagt, den Schulen sowie der Elternschaft der Unterstützung und Beratung. Zu allen Fragen der Unterrichts- und Schulentwicklung rund um die Inklusion stehen BUZ-Beraterinnen zur Verfügung. In wöchentlichen Sprechstunden können sich Lehrkräfte und Erzieher, Eltern und Schüler auch persönlich beraten lassen. Das BUZ in Steglitz-Zehlendorf koordiniert darüber hinaus ein großes Netzwerk aus schulischen und außerschulischen Kooperationspartnern.

BBZ: Mit der UN-Behindertenrechtskonvention verbindet sich der Auftrag, Kindern mit und ohne Behinderungen das gleiche Recht auf Bildung, Partizipation und Chancengleichheit im gemeinsamen Unterricht zu gewähren. Inwieweit bringt das „Netzwerk zur Unterstützung inklusiver Pädagogik und Erziehung“ diesen Anspruch voran?

Marion Thiel-Blankenburg: In Steglitz-Zehlendorf wurde ein ressortübergreifendes Netzwerk aus den Bereichen Schule, Jugendhilfe, Gesundheit, Verbänden, Eltern- und Behindertenvertretung gegründet. Die Chance für eine höhere Wirksamkeit durch Wechselwirkungen der einzelnen Bereiche soll genutzt werden, um das Recht auf Bildung im gemeinsamen Unterricht von allen Kindern und Jugendlichen umzusetzen. Das Netzwerk ist in eine kommunale Gesamtstrategie eingebunden und unterstützt die Schulen z.B. durch die Gründung eines schulübergreifenden Fördervereins zur Finanzierung inklusiver Projekte, durch Öffentlichkeitsarbeit und weitere Initiativen.

BBZ: Wir bedanken uns für das Gespräch.