Was macht eine soziale Stadt aus? Sie ist dann eine soziale Stadt, wenn diese für alle Einwohner vollumfänglich nutzbar ist. Doch genügt es, wenn Bezirksämter zugänglich sind? Natürlich nicht.
Unter dem Titel „Wie barrierefrei ist Berlin“ hat der Berliner Behindertenverband eine Umfrage durchgeführt. Über 800 Personen nahmen zwischen Dezember 2017 und Februar 2018 daran teil und gaben ihr Urteil ab. Die Befragten durften analog zu Schulnoten, Bewertungen vergeben (1 bis 6).
In der Gesamtschau schnitten bei der Umfrage insbesondere private Anbieter besonders schlecht ab. In Addition der beiden schlechtesten Noten – Mangelhaft (Note 5) und Ungenügend (Note 6) – fanden die Teilnehmer, dass Bäckereien in punkto Barrierefreiheit besonders schlecht sind (75,1 Prozent). Gefolgt von Blumenläden (75,0), Metzgereien (71,4), Cafés (68,5), Facharztpraxen (68,0) und Friseurläden (66,9).
Interessant waren auch die Antworten auf die Frage, „wie barrierefrei Berlin im allgemeinen ist?“ Lediglich 0,6 Prozent der Umfrage-Teilnehmer gaben hier die Note Gut und 2,5 Prozent die Note Befriedigend. Dafür vergaben aber 54,0 Prozent die Note Ausreichend, 30,5 Prozent die Note Mangelhaft und 12,4 Prozent sogar die Note Ungenügend. „Wenn 96,9 Prozent der Umfrage-Teilnehmer die Barrierefreiheit in Berlin mit den Noten Ausreichend bis Ungenügend bewerten, ist dies eine mehr als deutliche Aussage. Es ist vielmehr eine schallende Ohrfeige für die Politik im Land Berlin“, so der Projektmitarbeiter Christian Grothaus.
In der Umfrage wurde auch gefragt, ob es wünschenswert wäre, den privaten Sektor stärker zur Schaffung von Barrierefreiheit in die Pflicht zunehmen. Hier konnten die Teilnehmer mit Sternen antworten. Dies wünschten sich 52,5 Prozent mit der höchsten Note (6 Sterne) und 34,8 Prozent mit der zweithöchsten Note (5 Sterne). Insofern sprachen sich zusammengerechnet 87,3 Prozent der Befragten klar für eine stärkere Einbindung des privaten Sektors aus.
Diese Ergebnisse zeigen deutlich auf: es reicht eben nicht aus, wenn sich nur der Bund und die Bundesländer ein wenig um Barrierefreiheit in ihren eigenen Gebäuden bemühen. Zudem, viele Chancen, dies endlich zu ändern, wurden in den letzten Jahren vertan. Zuletzt bei der Novellierung des Behindertengleichstellungsgesetzes durch den Bund und bei der Novellierung der Berliner Bauordnung durch das Land Berlin. „Hierfür hagelte es durch die Behindertenverbände mächtig Kritik. Diese Umfrage zeigt, dass die Kritik berechtigt war und ist. Es fehlt der Politik schlicht und einfach das Verständnis für diese Art der Diskriminierung“, so Dominik Peter (Vorsitzender des Berliner Behindertenverbands).
Barrierefreie City Toiletten
In der Umfrage wurde auch gefragt, wie zufrieden die Teilnehmer mit den derzeitigen barrierefreien City-Toiletten sind. Hier vergaben 53,6 Prozent 6-Sterne und 43,0 Prozent noch 5-Sterne. Insofern sind über 96 Prozent der Befragten mit den City-Toiletten zufrieden. Zudem wurde gefragt, ob die Teilnehmer es gut finden, dass sich das Land Berlin ab dem 01.01.2019 von der Firma WALL AG trennen wird und neue Toiletten aufstellen lassen wird. Dies fanden 87,8 Prozent der Befragten nicht gut, 10,3 Prozent der Befragten war es egal und nur 1,9 Prozent fanden dies gut. Dies ist ein klares Votum gegen die Senats-Politik.
Die Gründe für dieses Votum sind einleuchtend: Die Toiletten sind funktional, barrierefrei und sauber. Der Senat (und/oder die Verwaltung) glaubt aber, das Berliner Toiletten-System besser und preiswerter realisieren zu können. Zumindest einen Teilerfolg haben Interessenverbände erreicht: Die Firma WALL wird ab dem 01.01.2019 ihre Toiletten nicht sofort abbauen, weil dann der Vertrag ausgelaufen ist. Senat und WALL haben sich auf eine Übergangsregelung geeinigt. Die WALL-Toiletten werden bis zum eigentlichen Aufbau der neuen Toiletten weiter betrieben.
Als Ergebnis aus der Umfrage, fordert der Berliner Behindertenverband, dass unbedingt geprüft werden muss, inwiefern bei der anstehenden Novellierung des Berliner Landesgleichberechtigungsgesetzes das Thema Barrierefreiheit und Privatwirtschaft
angegangen werden kann. Ein erster Entwurf liegt vor. Nach alten Maßstäben gemessen, ist er okay. „Will man jedoch die aufgezeigten Defizite im Land Berlin beseitigen, muss man an einigen Stellen dickere Bretter bohren. Oder man packt die Berliner Bauordnung noch mal auf den Tisch. Auf alle Fälle reicht ein weiter so nicht aus“, so Christian Grothaus.