„Wir haben besonderen Wert auf Barrierefreiheit gelegt“

von: Von Christian Grothaus

Da die BVG neue Busse anschaffen will, sprach die BBZ mit Horst Scheuerte über vermeintliche Vor- und Nachteile, Ängste, Vorbehalte und Kompromisse.

Schauerte

Horst Schauerte (43 Jahre) ist bei den Berliner Verkehrsbetrieben (Kurzform BVG) Abteilungsleiter Fahrzeugmanagement im Bereich Omnisbus. Zudem ist Schauerte auch stellvertretender Betriebsleiter Omnibus.

BBZ: Herr Schauerte, die BVG plant neue Busse zu bestellen, die über Neuerungen verfügen werden. Welche Neuerungen sind dies im Einzelnen?

Herr Schauerte: Wir haben besonderen Wert auf die Barrierefreiheit gelegt. So werden zum Beispiel für Sehbehinderte die Fahrtzielanzeigen kontrastreich „weiß auf schwarz“ ausgeführt. Das entspricht einer langjährigen Forderung der Sehbehindertenverbände und konnte endlich mit dem aktuellen Stand der Technik verwirklicht werden. Für hörbehinderte Fahrgäste stehen verbesserte Innenmonitore bereit. Sogenannte Stretch-Monitore werden eingeführt, auf denen über die nächsten Haltepunkte noch besser lesbar als bisher informiert werden kann.

BBZ: Welche Neuerungen sind für geheingeschränkte Passagiere und Rollstuhlnutzer von besonderem Interesse?

Herr Schauerte: Im neuen Gelenkbus wird es einen erheblich vergrößerten Multifunktionsbereich geben, wie man ihn schon aus unseren modernen Doppeldeckern kennt. Damit können dann auch in den Gelenkbussen zwei voll ausgerüstete Rollstuhlplätze angeboten werden. Dadurch entfallen andererseits leider feste Sitzplätze, die besonders für geheingeschränkte Fahrgäste wichtig sind. Diese möchten möglichst im Sichtbereich des Fahrpersonals ein- und aussteigen. Deshalb haben wir den Gang zwischen der ersten und zweiten Tür etwas schmaler gestaltet und können so zwei zusätzliche feste Sitzplätze einrichten. Der Durchgang ist dann nicht mehr breit genug, um Elektrorollstühle passieren zu lassen und eine Rampe an Tür 1 macht daher keinen Sinn mehr. Da sich besonders im Winter im Eingangsbereich der Busse immer Nässe bildet, wird dort stattdessen eine Fußbodenheizung für das Abtrocknen und damit für eine bessere Begehbarkeit beim Einstieg sorgen.
Wo immer möglich, wurden im Bereich der Freiflächen Klappsitze vorgesehen, so dass ein Maximum an Sitzgelegenheiten vorhanden ist, falls die Sondernutzungsflächen nicht von Rollstühlen oder Kinderwagen benutzt wird. In der Abwägung der verschiedenen Anforderungen unserer Fahrgastgruppen halten wir diese Lösung für einen guten Kompromiss.

BBZ: Es gibt noch weitere Änderungen, oder?

Herr Schauerte: Im Bereich des Vorderwagens in den Gelenkzügen gibt es bis zur Tür 2 keinerlei Podeste mehr, so dass diese zur Erreichung der Sitzplätze nicht mehr erklommen werden müssen und sich Stolpergefahr minimieren lässt. Nach der Tür 2 wurde versucht, die Podeste so niedrig und so gering wie möglich zu halten.

BBZ: Wieviele Personen können maximal mit den neuen Bussen befördert werden, wieviele mit den vergleichbar herkömmlichen Bussen?

Herr Schauerte: Die Anzahl der beförderbaren Fahrgäste hat sich nicht geändert, da wir grundsätzlich von vier Personen pro qm zuzüglich der Sitzplätze ausgehen. Die Abmessungen der Busse sind gleich (18m x 2,55m) und damit das Platzangebot im Grunde unverändert geblieben.

BBZ: Immer häufiger sind in Berlin die Busse überfüllt. Diesbezügliche „Überfüllungsmeldungen“ scheinen sich ja massiv zu häufen, wenn man den Berichten in den Berliner Tageszeitungen glauben schenken mag. Will man durch die Neubestellungen nicht eher diesem Punkt Rechnung tragen?

Herr Schauerte: Nein, die neuen Busse ersetzen lediglich ältere Modelle, die aufgrund ihres technischen Zustands ihre maximale Nutzungsdauer erreicht haben. Aber durch die Einrichtung des größeren Multifunktionsbereichs wird dafür Vorkehrung getroffen, dass möglichst viele Fahrgäste mit Rollstühlen oder Rollatoren  mit jedem Bus mitkommen können.
Eine Reaktion auf die angesprochenen Überfüllungsmeldungen wird durch den Einsatz von bis zu 15 zusätzlichen Bussen erreicht.

BBZ: Können sie verstehen, dass geheingeschränkte Passagiere und Rollstuhlnutzer einen zweiten Bus-Ausstieg schon aus sicherheitstechnischen Aspekten favorisieren?

Herr Schauerte: Ehrlich gesagt verstehe ich das nicht. In unseren Bussen sind alle Fahrgäste sicher. Wäre das anders, würden die Sicherheitsbehörden sie gar nicht zulassen. In ganz Europa wird in den barrierefreien Bussen nur eine Rampe angeboten. Nur Berlin und Bremen haben Busse mit zwei Rampen. Aus unserer Erfahrung wird die vordere Rampe quasi nicht benutzt, weil die Rollstuhlfahrer bequemerweise die zweite Tür nutzen, wo sie schnell und sicher zu ihrem Stellplatz kommen.

BBZ: Nun ja, dass mit den Sicherheitsaspekten sehen wir selbstverständlich etwas anders. Uns würde aber noch ein anderer Themenkomplex interessieren, den Sie als Chef der Bustechnik uns sicherlich beantworten können. Sind alle BVG-Busse wieder umgerüstet worden und bieten nunmehr das automatische Absenken – Stichwort Kneeling – wieder an?

Herr Schauerte: Alle Busse der BVG sind seit Anfang des Jahrs 2014 wieder auf das sogenannte automatische Kneeling umgerüstet worden.
Meine Mitarbeiter in den sechs Buswerkstätten haben nach Abschluss unseres Pilotversuchs alles daran gesetzt, diese Funktion so schnell wie möglich wieder in Gang zu setzen.

BBZ: Sehr geehrter Herr Schauerte, wir bedanken uns für das Interview.

Das Interview führten Christian Grothaus und Dominik Peter

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Hierzu die Presseerklärung der Piratenfraktion im Abgeordnetenhaus von Berlin:

Berlin braucht mehr und nicht weniger Barrierefreiheit – Alexander Spies, behindertenpolitischer Sprecher der PIRATEN-Fraktion: „Es darf bei der barrierefreien Mobilität keine Rückschritte geben. Wenn die BVG 2015 Busse einsetzt, die nur noch eine barrierefreie Tür aufweisen und nicht zwei, werden Barrieren für Menschen mit Behinderungen, die längst überwunden wurden, reproduziert.
Während sich die BVG über ihre neuen Busse freut, ist die Neuerwerbung von 236 Bussen für viele Berlinerinnen und Berliner mit Behinderung ein Schlag ins Gesicht. Denn die neu bestellten BVG-Busse, von denen schon in diesem Jahr die ersten 40 geordert werden, sind in Sachen Barrierefreiheit ein Rückschritt“.
Im Gegensatz zu den bisherigen Eindeckern werden die neuen Busse nur noch einen einzigen barrierefreien Einstieg an der 2. Tür haben. Damit wird die reale Situation verkannt. Durch den demografischen Wandel wird es einen Anstieg von alten und gebrechlichen Menschen geben. Die Zahl der über 80-Jährigen wird 2030 um über 80 Prozent steigen. Berlin braucht deshalb mehr und nicht weniger Barrierefreiheit. Wir fordern den Senat die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen und Menschen mit Behinderungen den gleichberechtigten Zugang zu Transportmitteln der BVG zu gewährleisten.
Die Abschaffung der Rampe an der Vordertür verhindert bei ungünstiger Anfahrtssituation den Ein- und Ausstieg von Menschen mit Rollstühlen oder Rollatoren, da sie nicht auf eine weitere Tür ausweichen können.