Wussten Sie, dass es in 70er Jahren gehörlose Menschen waren, die die SMS-Technologien entwickelt haben? Das erfuhr ich von Jonathan Kaufman, einem Berater der US-Regierung zu Fragen von Diversity auf dem Zukunftskongress Inklusion2025 der Aktion Mensch im Dezember 2014 in Berlin.
„Personen mit Behinderung müssen notwendigerweise kreativ sein. Neue Technologien entstehen aus den Bedürfnissen, die die Lebenserfahrung Behinderung mit sich bringt.“, sagte er und ich hab mal ein bisschen recherchiert:
• Die Mutter des Telefonerfinders Alexander Graham Bell war schwerhörig und ihr Sohn befasste sich deshalb mit Sprache und Schwingungen.
• Der Erfinder der Blindenschrift, Louis Braille, erblindete als Junge und entwickelte schon mit 16 Jahren die noch heute angewendete Punktschrift.
Und mit den Kommunikationstechnologien von heute sind die Möglichkeiten für behinderte Menschen, am Leben teilzunehmen und sich neue Lebensbereiche zu erschließen noch lange nicht erschöpft – ein paar Beispiele:
• Einer meiner Weihnachtsgrüße sah so aus: Ein Avatar, der in Gebärdensprache frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins neue Jahr wünscht, untertitelt selbstverständlich.
• gretaundstarks.de enthält Apps für Audiodeskription und Untertitel. Audiodeskription ermöglicht durch Bildbeschreibungen blinden Menschen, barrierefrei Filme zu sehen. Und Untertitel ermöglichen hörbehinderten Menschen, Filme und Nachrichten wahrzunehmen.
• katwarn.de warnt per App oder SMS vor Unwettern und anderen Katastrophen – das ist nicht nur für gehörlose Menschen eine Erleichterung.
Aber: katwarn.de funktioniert nicht flächendeckend in Deutschland und dass Filmemacher eine Audiodeskription erstellen, ist nicht verpflichtend – mit einer Ausnahme:
Seit 2012 müssen in Deutschland alle geförderten Filme eine barrierefreie Fassung enthalten.
Und bei der Berlinale, die im Februar 2016 in Berlin startet? Bisher gibt es noch keine Angaben zu Filmen mit Audiodeskription – im letzten Jahr waren es drei von über 400 gezeigten Filmen. Berlinale und moderne Kommunikationstechnologien: Für rollstuhlfahrende Cineasten gilt, dass sie eine Telefonnummer anrufen oder ein Fax senden sollen, um ein Ticket zu erwerben, dass sie 2 Tage später am Ticket-Schalter in den Potsdamer Platz Arcaden persönlich abholen können. Ist das modern? Ist das barrierefrei? Die Antwort auf diese Frage überlasse ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser.
Ein Gedanke zum Abschluss: Jede Gesellschaft braucht behinderte Menschen, um innovative Lösungen zu finden, um die Herausforderungen zu meistern, denen wir alle irgendwann im Laufe unseres Lebens gegenüberstehen werden. Denn auch wenn Sie jetzt vielleicht noch keine Menschen mit Behinderungen persönlich kennen, in ein paar Jahren werden es mehr und vielleicht sind es Sie selbst, die sich irgendwann über bequeme und barrierefreie Kommunikationstechnologien freuen.
Ulrike Pohl ist Fachreferentin Menschen mit Behinderungen beim Paritätischen Wohlfahrtsverband Landesverband Berlin e. V. und Mitglied im Redaktionsteam „jugendhilfe bewegt berlin“.
Der Beitrag ist zuerst in der Stadtteilzeitung Steglitz-Zehlendorf Februar 2016 erschienen.