Wohnen für Alle

Die Berliner Bauordnung geht alle etwas an

von: Dominik Peter

Senator Andreas Geisel (SPD) auf der Fachtagung „Wohnen für Alle“. Geisel ist seit letztem Dezember Senator für Stadtentwicklung und Umwelt. Insofern ist er der Chef der Berliner Bauverwaltung.

 

Derzeit ringt Berlin um eine überarbeitete Bauordnung. Als 1985 – vor genau 30 Jahren – der Paragraf 51 mit dem Titel: „Bauliche Maßnahmen für besondere Personengruppen“ eingeführt wurde, jubelten Behindertenverbände und Sozialpolitiker. 2005 wurde der Paragraph 51 sogar nachgebessert und die barrierefreie Zugänglichkeit für Gebäude ab vier Wohnungen vorgesehen. Doch gebracht hat es viel zu wenig. Bereits heute fehlen 41.000 barrierearme und barrierefreie Wohnungen. Diese Zahl wird sprunghaft ansteigen (Stichwort demografischer Wandel). Zudem sind 2.500 Nutzer des Sonderfahrdienst auf Treppenhilfe beim Verlassen der Wohnungen angewiesen. Selbstbestimmtes Leben sieht nun wirklich anders aus. Das Fazit kann nur heißen: Ausnahmeregelungen müssen beseitigt, und für alle neuen Bauvorhaben muss Barrierefreiheit verbindlich festgeschrieben werden.

Unredliche Diskussion

Auf einer Fachtagung mit dem Titel „Wohnen für Alle“, veranstaltet von der Spastikerhilfe, dem Paritätischen Berlin und den beiden SPD-Bundestagsabgeordneten Klaus Mindrup und Michael Groß, wurde kürzlich deutlich: Barrierefreies Bauen kostet zwar etwas mehr Geld, doch weitaus weniger, als die Bauwirtschaft unermüdlich behauptet. Eine Studie der Fachhochschule Zurich kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Bei größeren Bauvorhaben lassen sich die Mehrkosten für Barrierefreiheit auf bis zu 0,15 Prozent der Baukosten senken. Legt man zugrunde, welche Bauvorhaben der Berliner Senat beispielsweise mit seinem neuen Förderprogramm zum Bau von Neubauwohnungen anstößt, werden wohl 70 bis 90 Prozent aller Projekte ein Bauvolumen haben, bei denen sich die tatsächlichen Baukosten für eine komplette Barrierefreiheit auf bis 0,15 Prozent der Bausumme drücken lassen.
Weitaus wichtiger jedoch: Durch fehlende barrierefreie Wohnungen entstehen dem Sozialstaat jährlich immense Kosten. Immer mehr Senioren müssen früher ins Seniorenheim weil ihre Wohnung nicht für eine ambulante Pflege geeignet ist. Und das ist nur ein Beispiel von vielen. Kurzum: Für das, was die Bauwirtschaft an einer Stelle einspart, zahlen Sozialsysteme und Gesellschaft an anderer Stelle ein Vielfaches drauf.
Auf der Fachtagung deutete Senator Geisel an, dass sein Resort bereits in den kommenden Wochen einen Entwurf zur Bauordnung in den Senat einbringen wird. Behindertenverbände sollen demnach wohl eine oder mehrere Kröten schlucken müssen.