Kaum ein Berliner Politiker ist dem Behindertensport so verbunden, wie es der ehemalige Innen- und Sportsenator Ehrhart Körting war und ist. Für ihn war es ein Bedürfnis, so oft es ging, selbst bei Sportveranstaltungen dabei zu sein. Nun ist er im Ruhestand, im wohlverdienten, wie man das so sagt. Aber Ruhe scheint eher ein Fremdwort für ihn zu sein. Die BBZ fragte nach, was er jetzt macht, wie sein Leben nach der Politik aussieht und was er zum Berliner Behindertensport zu sagen hat.
BBZ: Herr Körting, ist Ihnen der Abschied vom politischem Amt schwer gefallen?
Körting: Ich habe in der Verwaltung für Inneres zehneinhalb Jahre gearbeitet. Ich glaube, das ist genug. Wenn man etwas sehr lange macht, gerät man in Gefahr, in die Routine zu kommen und zu versteinern. Deshalb war mir klar, ich muss dringend etwas anderes machen. Ich bin also mit einer ganz bestimmten Zielvorstellung gegangen: Ich möchte etwas Neues im Leben entdecken.
BBZ: Womit beschäftigen Sie sich konkret?
Körting: Neben meiner Anwaltstätigkeit gehört jetzt die ehrenamtliche Tätigkeit im Behindertensportverband Berlin dazu.
BBZ: Sie sind seit vorigem Sommer der Präsident dieses Verbandes?
Körting: Ja. Man hat mich gefragt, ob ich mir das vorstellen kann. Ich habe mich als Innen- und Sportsenator ja schon mit dieser Thematik beschäftigt und habe regelmäßig an Veranstaltungen teilgenommen. Ich sah die Möglichkeit, mein Know-how und meine Verbindungen einzubringen. Ich tue das im Interesse einer Gruppe, von der ich meine, sie hat zwar viel aufgeholt, ist aber noch nicht völlig in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
BBZ: Sozusagen die Fortsetzung Ihrer bisherigen Arbeit auf anderem Niveau?
Körting: Und auf der anderen Seite!
BBZ: Das stimmt. Wie ist das denn so aus dieser Blickrichtung?
Körting: Ich sehe jetzt, was man sich aus Vereinssicht alles vorstellen und verbessern kann. Auf der anderen Seite, als Sportsenator habe ich gesehen, was der Staat eben nicht finanzieren kann, wo die Grenzen staatlicher Finanzierung sind. Wir – der Behindertensportverband Berlin – fordern natürlich auch vom Staat Unterstützung. Ich sehe aber die Grenzen, die der Staat dort hat.
BBZ: Also haben Sie Verständnis für Entscheidungen Ihres Nachfolgers?
Körting: Aber natürlich! Ich weiß, dass alle, die da entscheiden, nicht bösen Willens sind. Geld künstlich vermehren kann man nicht und Allen alles zu versprechen führt ins finanzielle Chaos. Das heißt, man muss sehr genau argumentieren, welche Bereiche stärker finanziert werden müssen. Das führt zwangsläufig dazu, dass andere Bereiche nicht so stark finanziert werden. Es ist immer sehr bitter, aber das ist die logische Konsequenz.
BBZ: Die ganze Sportförderung orientiert sich an Medaillen. Bleiben da nicht manche Gruppe auf der Strecke?
Körting: Es stimmt, wir haben eine starke Betonung des Erfolgs. Ob das Medaillen bei der Olympiade, den Paralympics oder den Weltmeisterschaften sind, das spielt immer eine große Rolle. Damit wird am ehesten vermittelt, weshalb gefördert wird. Der Sache nach ist es wichtiger, dass wir den Breitensport fördern. Der Leistungssport ist für mich der Aufhänger, mit dem ich Menschen für den Breitensport begeistern kann. Es ist aber nicht sein alleiniges Ziel, das wäre zu kurz gegriffen. Ich bin übrigens der Meinung, dass wir beim Leistungssport viel stärker unsere Wirtschaft interessieren müssen. Erfolge bei der Olympiade, Paralympics oder Weltmeisterschaften sind eine Werbung für das Leistungsvermögen der Bundesrepublik Deutschland. Das wird oft von der Wirtschaft verkannt. Sie profitiert indirekt auch von diesen Erfolgen. Die Unternehmer sind da noch sehr zurückhaltend und verweisen gern auf den Staat.
BBZ: Wie sollte Ihrer Meinung nach denn eine Einbeziehung der Wirtschaft aussehen?
Körting: Mir schwebt vor, die Wirtschaft zu animieren, ein Forum zu gründen. Es sollte den Spitzensportlern ermöglichen, ein Jahr vor den Paralympics in Rio de Janeiro sich frei von beruflichen Belastungen vorbereiten zu können. Das mag zwar vielen unter dem Gesichtspunkt der Amateure nicht gefallen. Nur wir haben heute keine Amateure mehr. Wenn Sie sehen, wer in den letzten Jahren Medaillen gewonnen hat, dann werden Sie viele Bundeswehrsoldaten, Bundespolizisten oder ähnliches finden.
BBZ: Also der Abschied vom Amateur im Leistungssport?
Körting: Wir haben früher der DDR die Sportsoldaten vorgeworfen. Heute ist das gang und gäbe und zwar in der ganzen Welt. Wir haben eine sehr viel stärkere Professionalisierung des Leistungssports und die muss eben auch dazu führen, dass der Sport für die Leistungssportler attraktiv ist. Sie müssen eine Zeit lang davon leben können und sie müssen nach der Laufbahn eine berufliche Perspektive haben. Das gilt für paralympische genauso wie für olympische Sportler. Und das ist eine Frage an die Wirtschaft und nicht an den Staat.
BBZ: Also wünschen Sie sich einen Fond, in den jeder Unternehmer etwas einzahlt?
Körting: Wir haben das ja in gewisser Weise mit der Sporthilfe und ich stelle mir vor, dass man so etwas auch für den Berliner Paralympischen Sport erreicht.
BBZ: Bleibt der einfache Breitensportler, der gar keine Medaille anstrebt, dabei nicht auf der Strecke?
Körting: Nein, nein. Der Breitensport ist nicht von der Wirtschaft zu fördern. Der Breitensport ist in der Tat eine Sache, die vom Staat zu fördern ist. Das erfolgt beispielsweise durch das Bereitstellen und die Instandhaltung von Sportstätten. Deshalb habe ich als Sportsenator großen Wert auf die Erhaltung unserer 37 Hallenbäder gelegt. Der Staat muss die Infrastruktur zur Verfügung stellen und die Trainer bezahlen. In Berlin geschieht das über Lottomittel.
BBZ: Können Sie etwas darüber sagen, wie der Breitensport in Berlin aufgestellt ist?
Körting: Der Breitensport in Berlin ist sensationell. Auf der letzten Tagung des Landessportbundes wurde eine Zahl von 590.000 Vereinsmitgliedern genannt. Und das ist ja nur ein Teil des Breitensports. Wir haben neben den Vereinen noch einen Breitensport, der sich anders entwickelt. Denken Sie an die Leute, die morgens durch den Grunewald joggen, Skateboard oder Fahrrad fahren. Wir haben Laufveranstaltung über zehn Kilometer oder den Marathon. Ich hoffe, dieser unorganisierte Breitensport bringt Menschen in die Vereine. Er hat aber auch seinen Wert, wenn das nicht geschieht.
BBZ: Zurück zu Herrn Körting. Wie sieht denn jetzt Ihr Tagesablauf aus, nachdem Sie nicht mehr früh ins Büro fahren?
Körting: Ich habe etwas mehr Ruhe, über Sachen nachzudenken. Das ist ein großer Vorteil und tut mir auch gut. Aber einen richtigen Ruhestand habe ich nicht. Dazu bin ich an zu vielen Sachen interessiert. Neben der Funktion im Behindertensportverband Berlin kümmere ich mich um einen interreligiösen Dialog. Und dann bearbeite ich noch ein paar Fälle in meinem Anwaltsbüro. Im Gegensatz zu früher sind das aber jetzt Fälle, die ich spannend finde und wo ich mich mit meinem Wissen einbringen kann.
BBZ: Herr Körting, vielen Dank für dieses Gespräch.
Interview von Siegurd Seifert

