Ein Multitalent ist gegangen

Geschichten aus der Welt des menschlichen Geistes

von: Rainer Sanner

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Eines der erfolgreichsten Bücher von Oliver Sacks.

Dem vor kurzem verstorbenen britischen Neurologen und Schriftsteller Oliver Sacks ist es offenbar immer wieder gelungen, auch komplexe neurologische Krankheitsbilder in einem zwanglosen populärwissenschaftlichen Stil allgemeinverständlich darzustellen. Dies zeigt der Erfolg seiner Bücher, der vielleicht auch daraus entstand, dass er versuchte, hinter jeder Erkrankung individuelle Schicksale von betroffenen Menschen sichtbar zu machen.

Auf der Suche nach dem ganzen Leben

In jungen Jahren ist der 1933 in London geborene Oliver Sacks neben dem Analysieren von Krankheiten aber auch ganz anderen Interessen und Neigungen nachgegangen: Nach dem Studium war der über Kanada nach Kalifornien ausgewanderte Sacks in der damals sehr unruhigen Welt von San Francisco gelandet. Neben all den Aufgaben, die ihm sein beruflicher Werdegang stellte, sammelte er dort wohl auch Erfahrungen mit manchen Drogen, machte Touren mit den Hells Angels und manchmal auch allein auf dem Motorrad in die Wüste, holte sich auch manche Titel im Gewichtheben, suchte offenbar das ganze Leben. Und forschte trotz immer wiederkehrender starker Kopfschmerzen über, ja, die Migräne, über Zwillinge, Vulkane, vorkolumbianische Siedlungsformen und vieles andere.

Ein besonderer Blick auf den menschlichen Geist

Seinen Nachruf auf Oliver Sacks in der Süddeutschen Zeitung vom 30. August hat Willi Winkler unter die Überschrift „Der menschenfreundlichste Arzt seit Sigmund Freud“ gestellt, und diese Menschenfreundlichkeit entstand für Oliver Sacks wohl unter anderem in dem Bewusstsein, dass auch menschliche Krankheiten, auch außergewöhnliche Beeinträchtigungen der menschlichen Psyche als Kunstwerke, nämlich solche der psychischen Natur des Menschen angesehen werden können.

Zeit des Erwachens

„Zeit des Erwachens“ oder im amerikanischen Original „Awakenings“ lautet der Titel eines amerikanischen Films aus dem Jahre 1998, der nach dem gleichnamigen Buch (erschienen 1973) von Oliver Sacks gedreht wurde. Robert de Niro und Robin Williams spielen die Hauptrollen in diesem auf wahren Begebenheiten beruhenden Film, der Erfahrungen ins Bild rückt, die Oliver Sacks in den 1960er Jahren in einem New Yorker Hospital gesammelt hatte. Ein Teil der Patientinnen und Patienten dort litt an der Europäischen Schlafkrankheit, die zwischen 1916 und 1927 weltweit grassierte und neben fast fünf Millionen Toten viele schwer beeinträchtigte Menschen hinterlassen hatte, die in der Zeit danach fast bewusstlos ihre Tage verbrachten. Oliver Sacks verfolgte damals dort die Idee, das Gehirn seiner Patientinnen und Patienten mit einem neu entdeckten Medikament, mit L-Dopa zu stimulieren, und war damit offenbar in mancher Hinsicht erfolgreich: Manchmal erwachten jahrzehntelang erstarrte Menschen plötzlich (vorübergehend) wieder zum Leben.

Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte

In diesem zum Bestseller gewordenen Buch (erschienen 1985) erzählt Oliver Sacks vierundzwanzig medizinische Fallstudien, macht jede von ihnen zu einem Lesevergnügen: zum Beispiel die Geschichte von einem Studenten, der plötzlich riechen kann wie ein Hund, und es vermisst, als es vorbei ist. Und der Hintergrund dieser außergewöhnlichen Geschichten ist immer ein medizinischer: Eine winzige Hirnverletzung, ein kleines Durcheinander in der Chemie des Gehirns lässt Menschen aus der „Normalität“ fallen.

Der einarmige Pianist

Auch in diesem 2008 erschienenen Buch führt Oliver Sacks die Leserinnen und Leser in die Welt des menschlichen Geistes. Er erzählt von Menschen, die nach einer Hirnverletzung ihre Musikalität verloren haben, und von anderen, die durch eine solche Verletzung erst Musikalität entwickelten. In diesem Buch erzählt er auch die Geschichte des Pianisten Paul Wittgenstein, der infolge einer im Ersten Weltkrieg erlittenen Verletzung einarmig trotzdem weiter als Pianist tätig sein wollte. Und wie ihm dies gelang, so sehr gelang, dass die bekannten Komponisten Benjamin Britten, Paul Hindemith, Richard Strauss und Maurice Ravel eigens Stücke für die linke Hand komponierten.

So hat Oliver Sacks diese und zahlreiche andere populärwissenschaftliche Bücher verfasst über Menschen, die durch eine Krankheit aus dem Raster der Gesunden herausgefallen sind, hat er mit seinen eigenen Worten „Überlebensgeschichten“ geschrieben, „Geschichten davon, wie man mit diesen Krankheiten lebt“. In den Büchern „Stumme Stimmen“ (1989), „Das Innere Auge“ (2011) und „Drachen, Doppelgänger und Dämonen: Über Menschen mit Halluzinationen“ (2013) lassen sich noch mehr solche Geschichten entdecken. Mit diesen hat ihr Verfasser auch immer wieder die eigene Normalität in Frage gestellt: „Eine winzige Hirnverletzung, und wir geraten in eine andere Welt.“ In seiner Autobiografie, die er im Dezember 2014 wenige Tage vor seiner Krebsdiagnose fertigstellte, bekannte sich Oliver Sacks zu seiner Homosexualität. Im Februar 2015 hatte er sich in einem Essay für die New Yorck Times zu seiner Krebserkrankung und dem Umgang mit dem bevorstehenden Tod geäußert. Am 30. August ist er im Alter von 82 Jahren in Manhattan gestorben.

 

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